Die Angstmacher
hilflos und aufgeschmissen zu sein. Nicht nur die Achtzigjährigen. Das wissen die Versicherer. Wie aus jeder Angst der Menschen machen sie auch daraus ein Geschäftsmodell.
Immer mehr Unternehmen bieten immer mehr Leistungen an. Sie schließen Verträge mit Handwerkern, die im Bedarfsfall das Abflussrohr reinigen oder das Wespennest entfernen. Nach Überschwemmungen schicken Versicherer Sanierungstrupps, die den Keller erst trockenlegen und dann renovieren. Für viele Leistungen müssen Kunden extra zahlen, etwa bei speziellen Haus- oder Wohnungsschutzbriefen, bei denen auch der Schlüsseldienst inbegriffen ist, wenn die Tür mal zugefallen ist. Früher waren solche »Schutzbriefe« vor allem in der Autoversicherung verbreitet. Mittlerweile gibt es sie auch für andere Bereiche wie Wohnen, Reise-, Pflege- und Unfallversicherungen. Verbraucherschützer warnen vor diesen Verträgen, aber sie werden trotzdem bestens verkauft . Dabei versprechen diese Lockangebote für Ältere, Singles oder Hauseigentümer oft mehr, als sie halten. Zwar kommt nach dem Unfall für kurze Zeit die Haushaltshilfe, aber sie ist lange vor der Genesung wieder weg. Oft kann der Kunde nur wenige Leistungen im Jahr in Anspruch nehmen und muss danach selbst zahlen. Oder der Versicherer organisiert den Handwerker nur, zahlen muss der Kunde. Der merkt das aber erst, wenn die Rechnung im Briefkasten liegt.
Große Versicherer haben eigene Unternehmen, die alles Mögliche für ihre Klienten erledigen. Die öffentlich-rechtlichen Gesellschaften bilden ein Lager. Sie haben ihre Geschäftsbereiche nach Regionen aufgeteilt und konkurrieren nicht miteinander. Für sie ist es einfach, ein gemeinsames Unternehmen für Assistanceleistungen zu unterhalten. Ihre Örag Service GmbH holt erkrankte oder verunglückte Urlauber zurück, organisiert ambulante Kurzzeitpflege, schickt den Mechaniker, wenn das Auto streikt, oder den Rohrreiniger, wenn der Abfluss verstopft ist. Sie bietet auch anderen Versicherern ihre Dienste an. Auch die Servicegesellschaften der Konkurrenz sind offen für Wettbewerber. Die Assekuranz ist ein riesiges Dienstleistungsunternehmen, das von der Bestattung über Essen auf Rädern und die Putzfrau bis zur Renovierung alles anbietet. Nur der Service im Kerngeschäft, dem Versichern, wird immer schlechter.
4. Die Servicewüste
G eht es darum, für ihren Arbeitgeber Geld zu sparen, sind die Beschäftigten kreativ. Weil er ein Moslem ist, wollte eine Sachbearbeiterin der Gothaer einem verunglückten Mann aus Westfalen den Haushaltsführungsschaden nicht zahlen. Nach einem Unfall haben Geschädigte Anspruch auf eine Entschädigung dafür, dass sie nicht mehr putzen, kochen und andere Hausarbeiten verrichten können. Der verunglückte Mann war muslimischen Glaubens. Das reichte der Sachbearbeiterin aus, um den Anspruch abzulehnen. Begründung: Es sei bekannt, dass Moslems im Haushalt nicht helfen. Der Nordafrikaner akzeptierte das nicht, sein Anwalt schaltete die Presse ein. Das half. Der Gothaer ist die Sache unendlich peinlich. Sie entschuldigte sich und bestreitet, dass es irgendwelche Vorgaben in ihrem Haus in diese Richtung gab oder gibt.
Doch die Versicherer setzen den Rotstift überall an. Nicht nur bei der Schadenregulierung. Die Branche ernährt nicht nur unzählige freie Handelsvertreter und andere Selbstständige, sondern auch viele Angestellte. Sie haben nicht das beste Sozialprestige. Immer wieder werden sie in Filmen oder Serien parodiert. Die Comedy »Stromberg« beschreibt den Alltag der Abteilung Schadenregulierung M bis Z der fiktiven Capitol Versicherung aus Sicht eines Fernsehteams, das eine Dokumentation dreht. Der völlig unfähige Abteilungschef Bernd Stromberg und sein schräges Personal wollen sich im besten Licht präsentieren, aber das klappt nie. Ist man in echten Versicherungshäusern zu Gast und fragt, ob dort »Stromberg« gedreht wurde, erhält man sehr verschnupfte Antworten. Mit der Comedy und der schrägen Truppe wollen die Mitarbeiter nicht in einen Topf geworfen werden.
Unvergessene Einblicke in das Innenleben eines Versicherungsunternehmens gewährt der grandiose Film »Kehraus« aus dem Jahr 1983. Hier bekommt Gerhard Polt als Ferdinand Weitel an einem Rosenmontag ein ganzes Paket seltsamer Versicherungen aufgeschwatzt. Der Gabelstaplerfahrer macht sich auf in die Konzernzentrale, um sie wieder loszuwerden. Bei diesem Abenteuer kann der Zuschauer ein ganzes Panoptikum an Assekuranzmitarbeitern
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