Die Anklage - Ellis, D: Anklage - Breach of Trust
schepperten die Becken gegeneinander, Hass und Wut übertönten
alles andere in mir. Und das war gut so. Denn dieser Mann hatte viele Menschen auf dem Gewissen. Einige von ihnen waren vielleicht keine Unschuldslämmer gewesen; aber ich kannte einige andere, die es ganz bestimmt nicht verdient hatten. Ich wusste nicht mehr so genau, wie ich zu den Geboten meines Gottes stehen sollte, konnte mir aber keine Welt vorstellen, in der es nicht eine gute Tat gewesen wäre, diesen Kerl aus dem Verkehr zu ziehen.
»Nicht, Jason.«
Ich unterdrückte den Instinkt, mich umzudrehen, denn ich wusste, dass diese Stimme nicht von irgendwo hinter mir kam. Und sie gehörte auch niemandem neben oder vor mir. Unnachgiebig presste ich den Lauf der Waffe an Kikos Stirn. Er begann, etwas auf Spanisch zu murmeln. Vielleicht betete er.
»Hör auf, Gott um Hilfe anzuflehen«, sagte ich. Dann, ganz plötzlich, nahm ich die Pistole von seiner Stirn. Ich stemmte mich hoch und stand über ihm. Er bewegte sich nicht, die einzigen Lebenszeichen waren ein leises Stöhnen und eine sich aufblähende und wieder schrumpfende Blutblase vor seinem Mund.
Ich schob die Tür auf, anstatt mich erneut durch das zersplitterte Glas zu zwängen, und lief durch den Garten. In der Nachbarschaft waren ein paar Lichter angegangen, vielleicht spähten sogar Leute nach draußen. Möglicherweise würden sie mich später identifizieren können, aber irgendwie bezweifelte ich das. Irgendein Weißer in Anzug und langem Mantel, der durch einen dunklen Garten lief. Außerdem wusste jeder von Kikos unmittelbaren Nachbarn, wer in diesem Haus lebte, und höchstwahrscheinlich hatten sie keine Eile, sich in diese Angelegenheit einzumischen.
Ich erreichte meinen Wagen und manövrierte ihn aus der
Gasse. Als ich wieder auf die Hauptstraße bog, atmete ich tief durch. Das Adrenalin schoss immer noch durch meine Adern, und ich bemühte mich, die Hände ruhig zu halten, indem ich das Lenkrad umklammerte. Ich war unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen, daher konzentrierte ich mich einfach auf den Heimweg; darauf, den Wagen in die Garage zu fahren und mich anschließend selbst ins Bett zu verfrachten.
Heute Nacht würde ich schlafen, beschloss ich. Zumindest die letzten verbleibenden Stunden, denn ich hatte es bitter nötig. Ich war todmüde und völlig ausgepumpt. Der Länge nach fiel ich aufs Bett und schloss die Augen. Es stimmte: Ich hatte Ernestos Mörder die Schuld am Tod meiner Familie gegeben. Vielleicht hatte ich das getan, um die Schuld von mir selbst abzuwälzen. Doch jetzt war mir klar, dass es sich im Grunde um etwas ganz anderes drehte.
Nicht, Jason.
Hinter ihren Worten steckte so viel mehr als nur die Bitte, Kikos Leben zu verschonen. Ich hatte die Schuld für ihren Tod überall gesucht — bei mir selbst, bei Hector, Kiko, bei wem auch immer –, nur um die viel schlichtere und deswegen unerträglich schmerzhafte Wahrheit zu verdrängen, dass niemand die Schuld am Unglück meiner Frau und meiner Tochter trug.
Das Nächste, an was ich mich erinnerte, war ihre Hand in meiner. Unsere Finger waren so fest ineinander verschränkt, dass unsere Hände aufhörten, unabhängig voneinander zu existieren. Dann löste sich die Verschränkung langsam wieder, unsere Finger streckten sich, die Handflächen entfernten sich voneinander, nur die Fingerspitzen berührten sich noch.
Dann griff meine Hand nach ihrer, und da war nichts mehr. Ich öffnete die Augen. Es war Morgen.
85
An diesem Morgen benötigte ich etwas mehr Zeit im Bad, da ich am Haaransatz eine Reihe von Schnitten entdeckte, die von der zersplitterten Glastür stammten. Meine Hände waren geschwollen und schmerzten, aber offensichtlich war nichts gebrochen. Viele greifbare Spuren erinnerten mich an gestern Abend, trotzdem kam es mir wie ein Traum vor.
Lee Tucker und Chris Moody warteten bereits auf mich, als ich gegen acht Uhr Suite 410 betrat. Sie hatten leise miteinander debattiert und mich zunächst nicht bemerkt. Aber als sie einen Blick auf mein Gesicht warfen, hatte ich sofort ihre volle Aufmerksamkeit. »Hab mich beim Rasieren geschnitten«, erklärte ich auf Tuckers Frage hin.
»Sie haben sich die Stirn rasiert?«
»Hab nicht aufgepasst.«
Moody lehnte sich in seinem Sessel zurück. Er sah nicht gut aus. Seine Augen lagen tief in ihren Höhlen und hatten dunkle Ränder. Normalerweise trug er immer diesen hellwachen und ehrgeizigen Ausdruck zur Schau, aber auch an ihm zehrten die langen
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