Die Ankunft
»Außer dir weiß niemand, dass wir hier sind.«
Mir fiel Viviane ein, der ich davon erzählt hatte. Aber die hatte wohl kaum ihre eigene Mutter umgebracht. »Vielleicht wäre es gut, wenn wir uns den Tatort ansehen würden. Möglicherweise hat der Täter Spuren hinterlassen. Ihr könnt besser sehen und hören und riechen als wir Menschen, vielleicht erkennt ihr was.«
Leif und Robert stimmten mir zu, und gemeinsam fuhren wir in Leifs Lieferwagen zu der Stelle an der Landstraße, nur einen Kilometer außerhalb von Mullendorf, wo Josephines kleiner Kia am Straßenrand stand. Ihre Leiche lag ein paar Meter daneben. Der Fundort war abgesperrt, zwei Polizisten, die ich aus Moosberg kannte, bewachten sie.
»Hallo, Herr Schöne«, begrüßte ich den einen, als ich ausgestiegen war. »Kümmern Sie sich um die Leiche des Opfers?«
»Nur bis die Mordkommission hier eintrifft.« Er war der Vater eines Mädchens aus Moosberg, dem ich mal Mathe-Nachhilfe gegeben hatte. Er war nicht der Hellste, seine Tochter konnte nicht einmal Minus von Plus unterscheiden. Aber er bezahlte mich gut dafür, dass ich ihr die Hausaufgaben machte, damit sie die vierte Klasse schaffte.
»Hallo Moona!« Der andere Polizist hieß Sven Heller und engagierte sich politisch in Moosberg. Er hatte eine Bürgerinitiative zum Schallschutz gegen den Lärm an der Autobahn gegründet, war jedoch damit gescheitert. Als nächstes hatte er die Kröten vor der Autobahn und der Landstraße und den drei LKW in Moosberg retten wollen, was wieder nicht geklappt hatte. Im Augenblick kümmerte er sich um eine Klage am Europäischen Gerichtshof, die Moosberg mehr Entscheidungsbefugnis und Autonomie gegenüber Gallburg bringen sollte. Die Moosberger hatten schon Wetten abgeschlossen, ob er die Klage durchbringen würde oder nicht. 1276 wetteten gegen, zwei für ihn.
»Dürfen wir die Leiche mal sehen?«, fragte ich so naiv wie möglich und klapperte dabei mit meinen Wimpern über den blauen Augen. So etwas wirkte niemals verdächtig und funktionierte fast immer.
Doch sowohl Sven als auch Herr Schöne schüttelten den Kopf. »Das geht nicht. Es darf nichts angerührt werden, bis die Mordkommission eintrifft.«
Ich nickte. »Das verstehe ich natürlich. Der Bürgermeister würde allerdings auch gerne Abschied von seiner Bürgerin nehmen.«
»Das kann er machen, wenn die Mordkommission die Spuren gesichert hat.« Sie wirkten fest entschlossen, uns tatsächlich nicht durchzulassen.
Also trat ich zurück und kehrte zu Leif und Robert zurück, die an der Seite standen und meine erfolglosen Bemühungen verfolgt hatten.
»Sie lassen uns nicht durch. Was machen wir jetzt?«
Leif trat einen Schritt vor. »Ich rede mit ihnen.«
»Und was willst du sagen? Versteh mich nicht falsch, du bist zwar Bürgermeister, aber nur der von Mullendorf. Ich glaube nicht, dass sie das akzeptieren, weil sie Moosberger sind«, meinte ich. »Aber ich könnte nochmal versuchen sie zu überreden.«
Doch Robert hielt mich zurück. »Lass ihn einfach.«
Ich vermutete, dass die beiden sich schon was ausgedacht hatten und beobachtete nun gespannt, wie Leif zu den beiden Männern ging, ihnen tief in die Augen blickte, während er ruhig mit ihnen sprach. Einer nach dem anderen nickte schließlich und trat zur Seite. Sie setzten sich ins Polizeiauto, drehten das Radio laut auf und sangen lauthals einen Song der »Stones« mit.
»Was hat er getan«, flüsterte ich aus Angst, ich könne mit lauten Worten den Zauber brechen.
»Er hat ihnen klargemacht, dass sie dringend eine Pause brauchen und nur auf die Musik achten sollen, dass alles andere uninteressant ist und sie sich entspannen können«, antwortete Robert.
»Für immer?«
»Bis sie merken, dass es Unfug ist. – Also los!«
Er folgte Leif und ich ihm. Wir stiegen über den Straßengraben auf den Feldrain, wo die Leiche lag. Vivianes Mutter war mit demselben grauen Kostüm bekleidet, das sie am Morgen getragen hatte, als ich sie in ihrem Haus besuchte, um meine Freundin zu beschützen. Hatte der Mörder die Mutter gewählt, weil durch meine Anwesenheit Viviane nicht als Opfer zur Verfügung stand?
Die Haut der Frau sah im Vergleich zum grünen Gras sehr bleich aus. Ihre Augen starrten ins Nichts. Sie hatte tatsächlich Bissspuren am Hals.
»Kannst du was riechen?«, fragte ich Robert.
Er schüttelte den Kopf. »Da ist nichts.« Auch Leif, der die Leiche entlang schnüffelte wie ein hungriger Hund, konnte nichts Außergewöhnliches feststellen. »Sie
Weitere Kostenlose Bücher