Die Ankunft
Skala zu liegen kommt, so kann man im ovalen Ausschnitt der oberen Scheibe die zurzeit gerade sichtbaren Sterne erkennen. Um die genaue Position der abgebildeten Sterne zu bestimmen, gibt es diesen kleinen Zeiger, mit dessen Hilfe wir anhand einer Skala die Deklination …«
»Gut, danke!«, unterbrach nun Becker. »Das wird den Rest der Herren sicher langweilen. Der Vorgänger des Sextanten.«
»Entwickelt von den Griechen. Und auch im Römischen Imperium höchst gebräuchlich zur Bestimmung der Position in der Seenavigation.«
Von Krautz legte die Metallscheibe wieder auf den Tisch.
Rheinberg nahm weitere Gegenstände auf.
»Ein Weinschlauch.«
Er schnupperte daran und verzog das Gesicht.
»Seile und ein Fischernetz liegen noch im Boot«, warf Langenhagen ein. Rheinberg nickte nur. Er hielt eine lederne Hülle in der Hand, die er vorsichtig öffnete. Zum Vorschein kam ein Bündel Pergamente, die er fast andächtig zu öffnen begann.
Er warf einen langen Blick auf die Sätze auf dem Pergament, runzelte die Stirn, wirkte kurz abgelenkt, dann lächelte er fein.
Dann las er laut vor:
»Mein Geist drängt mich dazu, von den in neue Gestalten verwandelten Formen zu sprechen. Götter, seid meinem Vorhaben gewogen – denn ihr habt ja jene verändert – und führt mein ununterbrochenes Lied von den ersten Anfängen der Welt herab bis in meine Zeiten.«
Er hob den Kopf und blickte auffordernd in die Runde.
»Nun?«
Neumann grinste.
»Ja, Herr Marineoberarzt?«
»P. Ovidius Naso, wenn mich nicht alles täuscht.«
»Wer?«, fragte Dahms.
»Ovid. Die Metamorphosen. Gott, hat mich mein Lateinpauker damit gequält.«
Einige der anwesenden Offiziere nickten verständnisvoll. Neumann hatte augenscheinlich Leidensgenossen. Rheinberg durchblätterte die Papiere.
»Das erste Buch, wenn ich das richtig sehe. Genau die richtige Lektüre, um seinem Sohn das Lesen beizubringen, wenn er den Gallischen Krieg schon gemeistert hat. Wir haben hier einen Fischer, der sich um Bildung bemüht.«
Stille begrüßte seine Bemerkung. Die Pergamente sahen aber auch zu echt aus. Rheinberg kramte wieder in dem Haufen. Die restlichen Gegenstände waren nicht sehr beeindruckend. Ein Beutel mit Oliven. Ein paar einfache Werkzeuge. Eine Angel mit Angelhaken. Ein Bündel sorgsam eingepackter, einfacher Kleidung, offenbar zum Wechseln gedacht. Alles wirkte echt, echt in dem Sinne, dass es einen ausgesprochen antiken Eindruck machte, nicht das, was man in einem Fischerboot des 20. Jahrhunderts erwartete. Rheinberg sah, dass der Zweifel in den Augen der Offiziere langsam einer immer größeren Verwunderung wich.
Erneut entfachte sich eine Diskussion, der von Krautz eine Weile Raum gab. Rheinberg erkannte schnell, warum. Die Mittagszeit verstrich und kurz darauf betrat der Signalmaat erneut die Messe. Er machte sich gar nicht die Mühe zu melden, sondern reichte Rheinberg sofort ein Papier und verschwand. Rheinberg las die Nachricht und reichte sie an von Krautz weiter.
»Empfehlungen von Fähnrich Volkert«, sagte dieser dann. »Soweit es durch die Mittagspeilung möglich war, konnte er die Positionsangaben des Marcus ungefähr bestätigen. Definitiv östliches Mittelmeer, also auch östlich von Ravenna und nicht allzu weit von der italienischen Küste.«
Ein Raunen ging durch die Runde.
»Das heißt, Marcus scheint kein Lügner zu sein«, stellte Rheinberg fest. Er hatte diese Theorie ohnehin nur als eine von vielen möglichen Erklärungen gelten lassen. Von Klasewitz presste die Lippen aufeinander und sagte gar nichts.
»Wahnsinn!«, konnte nun Dahms nicht an sich halten. »Was heißt das denn jetzt? Dass wir tatsächlich irgendwie, weiß Gott wie, durch die Zeit gereist und in der Vergangenheit angekommen sind? Das ist doch … da hat jemand zu viel von diesem Franzosen gelesen …«
»Jules Verne«, half Becker.
»Wer auch immer. Oder das Zeugs vom lenkbaren Luftschiff, das Langenhagen dauernd schmökert. Wollen wir das wirklich als Erklärung akzeptieren?«
»Vorläufig haben wir keine Erklärung«, meinte Rheinberg. »Bedenken Sie jedoch bitte eines, Dahms: Wenn das Nautische Jahrbuch dieses Jahres uns nicht hilft, mit dem Sextanten eine korrekte Positionsbestimmung durchzuführen – und Volkert ist in der Hinsicht wirklich kein Anfänger mehr! –, dann heißt das, dass die Daten des Jahrbuches in dieser Zeit, in der wir uns befinden, schlicht nicht gültig sind.«
»Oder der Fähnrich hat doch einen Fehler gemacht«, meinte von Klasewitz.
»Sie
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