Die Ankunft
überlebende Mann mit Befehlserfahrung, drückte ihm einen Schlauch mit Wasser in die Hand, den der Zenturio in Gedanken zum Mund führte. Tribun Marius Tiberius Vitelius war auf der Flucht gefallen. Alchimio hatte jetzt das formale Kommando über die etwa vierzig Leibgardisten, die dem Kaiser geblieben waren. Eine kümmerliche Streitmacht. Und da man nicht genau wusste, wo man war, die Dunkelheit schnell hereinbrach und jeder sich der Tatsache bewusst war, dass da draußen Zehntausende von gotischen Kriegern umherstreiften, waren die Aussichten trübe.
Das sinnentleerte Gemurmel und die blutunterlaufenen Augen des am Boden zerstörten Kaisers machten die Sache nicht einfacher. Seit er jeden Kontakt zu Sebastianus verloren hatte – das Gerücht ging um, dass der General auf dem Feld gefallen sei –, war der Imperator völlig in sich gekehrt und wirkte abwesend. Unterbrochen wurde dies nur durch Selbstgespräche. Ferner verweigerte er jede Nahrungsaufnahme.
Alchimio nahm einen weiteren Schluck. Kein Grund, dem Beispiel seines Herrn zu folgen.
»Wie sieht's aus, Pietus?«
Der Dekurio kratzte sich am Bart. Er war ein Veteran von zweiundzwanzig Jahren Dienst, kurz davor, ehrenvoll entlassen zu werden. Er hatte sich seine letzten Dienstjahre sicher auch anders vorgestellt.
»Das Anwesen lässt sich ganz ordentlich verteidigen. Es gibt eine Steinmauer drum herum, und vom Dach des Hauptgebäudes haben wir eine gute Rundumsicht und freies Schussfeld. Ich habe überall Wachen aufgestellt und dem Rest der Männer gesagt, sie sollen sich ausruhen. Nahrungsmittel haben wir hier keine mehr, da sind uns die Goten um Wochen zuvorgekommen, aber es gibt einen Brunnen und das Wasser ist in Ordnung. Wenn wir die Nacht ungestört überstehen, können wir morgen schauen, ob wir weiterreiten oder noch bleiben – oder ob die Goten diese Entscheidung für uns fällen.«
Alchimio legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Gut gemacht. Finde etwas Ruhe; ich bin noch viel zu aufgedreht, um an Schlaf zu denken. Außerdem sollte jemand ein Auge auf den Kaiser haben.«
Pietus warf einen verstohlenen, fast scheuen Blick auf die zusammengesunkene Gestalt auf dem Schemel. Dann machte er eine bezeichnende Handbewegung.
»Meinst du, er ist völlig durchgedreht?«
»Macht das einen Unterschied? Wir haben geschworen, ihn mit unserem Leben zu verteidigen. Und das werden wir tun.«
Es war keine Schärfe in Alchimios Worten. Seine Sätze waren nicht mehr als eine ganz normale Feststellung gewesen, und der Dekurio nickte lediglich.
»Ich hau mich dort in die Ecke, Zenturio. Wenn was ist …«
»Geh nur.«
Pietus zog sich zurück. Alchimio erhob sich, nahm den Umhang, den Valens achtlos zur Seite gelegt hatte, und legte ihm dem Kaiser um die Schultern. Er wollte sich schon abwenden, da hörte er, wie der Imperator seinen Namen flüsterte.
»Herr?«
»Was denkst du, Zenturio?«
»Wir sind für den Augenblick sicher.«
»Das meine ich nicht. Was denkst du über mich?«
Alchimio zögerte unmerklich. »Ihr seid mein Herr, der Kaiser. Ich habe geschworen, Euch zu dienen und Euch zu beschützen. Das ist alles, was ich wissen muss.«
Valens lachte trocken. »Brav, Zenturio. Sehr brav. Dein Kaiser und Herr hat dich ins Verderben geführt.«
Alchimio beschloss, dies nicht zu kommentieren. Valens schien auch gar keine Antwort erwartet zu haben.
»Zenturio, ich war ein Narr. Ein großer Narr. Ein vor allem alter Narr, der seinem Neffen keinen Ruhm und keinen Sieg hat gönnen wollen. Ah, die Götter sind groß in ihrer Weisheit, findest du nicht auch?«
Alchimio war Christ, Valens nicht. Auch hier bemühte sich der Zenturio um Schweigsamkeit.
»So werde ich denn bestraft, Zenturio. Du leider mit mir. Entschuldige.«
»Es gibt nichts zu entschuldigen«, erwiderte Alchimio. »Wir werden das Heer neu sammeln und die Goten zurückschlagen. Rom ist ewig, mein Imperator.«
Valens machte eine schwache Handbewegung.
»Ja, ja, Rom ist ewig. Das Problem ist leider, dass ich es nicht bin. Und du ebenfalls nicht.«
Einen Moment lang wartete Alchimio noch darauf, dass der Kaiser etwas hinzufügte, doch dieser war in brütendes Schweigen versunken. Der Zenturio legte einen Wasserschlauch sowie einen Kanten Brot und etwas Obst neben seinem Herrn ab, eine allzu karge Mahlzeit, aber das Beste, was er anbieten konnte.
Er zog sich leise zurück.
Die Luft war angenehm kühl auf dem Dach des Bauernhauses, das er durch eine Leiter im Inneren hatte erklimmen können. Das Haus war wehrhaft
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