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Die Ankunft

Die Ankunft

Titel: Die Ankunft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk van Den Boom
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gebaut, mit einer Art Balustrade um das flache Dach herum, von der aus man Geschosse auf angreifende Feinde schleudern konnte. Das war auch irgendwann einmal geschehen, denn es lagen einige unbenutzte, grob gefertigte Pfeile herum und die Balustrade selbst wies Spuren von Einschlägen auf. Die Goten waren bemerkenswert unfähig darin, Befestigungen anzugreifen, waren ungeduldig und undiszipliniert bei Belagerungen und hatten absolut niemanden, der in der Lage war, die komplizierten Belagerungsmaschinen zu entwerfen und zu bauen, über die die römische Armee verfügte. Das Anwesen hier jedoch war schlicht zu klein gewesen, und mochte der Herr des Hofes sich auch mit seinem Gesinde und den Sklaven verteidigt haben, so war ihr Widerstand doch zwecklos gewesen. Das Gebäude war letztlich ein ziviles, kein militärisches, und selbst Goten hatten sich damit wahrscheinlich nicht länger als eine Stunde oder zwei aufgehalten. Und das war bereits Wochen her, die Spuren der Verwüstung und Plünderung deutlich erkennbar. Die Bewohner dieses Anwesens hatten sie entweder versklavt oder getötet, die Flucht wird ihnen nur schwerlich gelungen sein. Alchimio machte sich selbst glauben, dass einige wenige der Tapferen es dennoch bis nach Adrianopel geschafft hatten, um in den mächtigen Mauern sicheren Unterschlupf zu finden. Selbst jetzt war die Stadt sicher, trotzdem die oströmische Feldarmee geschlagen war. Sie verfügte über eine Garnison und wahrscheinlich mehr Vorräte als die umhervagabundierenden Goten, und da ein kluger Führer wie Fritigern wusste, dass seine Krieger gegen mächtige Stadtmauern und Wehrtürme höchstens mithilfe von Verrat etwas würde ausrichten können – was das eine oder andere Mal gelungen war –, würde die Stadt nicht lange bedroht sein. Was bedroht war, das war der ländliche Raum, und langfristig die Nahrungsmittel-und Nachschubsituation der großen Städte. Wenn das ganze Ostreich bloß noch aus Städten bestand und das Land den Goten überlassen wurde, dann gab es kein Reich mehr, das diesen Namen verdiente. Alchimio hoffte und betete, dass es Valens gelingen würde, seine Kräfte wiederherzustellen. Falls er den Kaiser in Sicherheit bringen konnte.
Morgen früh, noch vor Sonnenaufgang, würde er den Aufbruch vorschlagen, mit leidlich ausgeruhten und getränkten Pferden. Er wusste, in welcher Himmelsrichtung ungefähr Adrianopel liegen musste, und ahnte nicht einmal, wie vielen Gotenhorden es auszuweichen galt. Aber er musste es auf jeden Fall versuchen.
Unwillkürlich zuckte er zusammen, als er in der Ferne ein Geräusch hörte. Erst glaubte er, sich geirrt zu haben, dann jedoch wurde es immer deutlicher und es konnte sich auf keinen Fall um eine Sinnestäuschung handeln.
Pferde. Viele dazu. Die römische Kavallerie war während der Schlacht fast völlig aufgerieben worden, daher konnte es sich kaum um das Wunder eines Entsatzes handeln. Flüchtlinge hatten, wenn sie sehr glücklich waren, einen Eselskarren, aber niemals Pferde, und bestimmt nicht so viele.
Es konnten nur die Goten sein.
Unten wurden die Wachen aktiv, gedämpfte Warnrufe erklangen. Flüche drangen an Alchimios Ohr, als sich jene Männer, die gerade erst etwas Schlaf gefunden hatten, aufrappelten und zu den Waffen griffen.
»Pietus!«
»Herr?«
»Die Bogenschützen aufs Dach! Verrammelt die Türen!«
»Ja, Herr.«
Alchimio kletterte die Leiter herunter und sah, wie sich Valens aufrichtete. Das Gesicht des Kaisers wirkte eingefallen und mutlos. Er war niemand, der seinen Truppen jetzt Inspiration und Mut zu geben in der Lage war.
»Die Goten.« Lediglich eine Feststellung, und der Zenturio konnte daraufhin nur nicken.
»Was soll ich tun, Zenturio?«
Uns nicht im Weg rumstehen, dachte Alchimio bei sich, beherrschte sich allerdings mustergültig.
»Bleibt in der Mitte des Raumes, Herr. Wir werden einen Schutzgürtel um Euch legen, sollte es dem Feind gelingen, hier einzudringen.«
»Vielleicht wollen sie verhandeln?«
Alchimio musste dem Kaiser zugestehen, dass dies eine Option war, wenngleich keine sehr wahrscheinliche. Den Kaiser gefangen zu nehmen, war eine interessante Aussicht, auch für die Goten, und erst recht, wenn es darum ging, über den Siedlungsraum auf römischem Gebiet zu verhandeln. Andererseits wusste man seit Julian Apostata, was mit gefangen genommenen Kaisern ebenfalls passieren konnte, und die Perser galten, im Gegensatz zu den Goten, zumindest als einigermaßen zivilisiert.
Nein, es war keine Option.

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