Die Ankunft
Falls die Goten überhaupt wussten, dass sich Valens hier aufhielt, und nicht dachten, es handele sich um einen beliebigen Trupp versprengter römischer Soldaten.
Der Zenturio eilte wieder aufs Dach. Die Sonne war noch nicht ganz verschwunden, und so konnte er die heranreitenden Kämpfer gut erkennen. Es waren in der Tat Feinde, und es waren sicher dreihundert, wenn nicht mehr. Alchimios Mut sank.
Die Goten zügelten ihre Pferde kurz vor dem Anwesen, als hätten sie erst jetzt gemerkt, dass es bewohnt war. Kurz entschlossen packte der Zenturio eine Fackel und kletterte hinab. Wenn es eine Gelegenheit für Verhandlungen geben mochte, dann diese.
Er trat ins Freie, unbewaffnet und ohne Begleitung, die Fackel über seinem Kopf schwingend. Gemessenen Schrittes ging er über den Hof, erklomm die niedrige Steinmauer und präsentierte sich den Goten. Einer der Reiter ritt voran, und von seiner Aufmachung her konnte Alchimio erkennen, dass er zumindest von niedrigem Adel war. Er hatte sich, wie es aussah, das Pferd eines toten römischen Kavalleristen geschnappt, zumindest war das Zaumzeug römischer Art.
»Wer bist du und wer ist mit dir?«, blaffte der Gote, als er sein Tier vor Alchimio zum Stillstand brachte.
»Mein Name ist Alchimio.«
Der Gote musterte den Brustharnisch des Römers.
»Zenturio, ja?«
»Zenturio.«
»Wie viele Männer hast du bei dir?«
»Genug.«
Der Gote lachte auf, dann zuckte er mit den Achseln und machte eine ausholende Bewegung zu seinen wartenden Kriegern.
»Genug dafür?«
»Wir werden sehen. Aber wir müssen es ja nicht ausprobieren.«
Der Gesichtsausdruck des Goten bekam etwas Lauerndes.
»Nein, das vielleicht nicht. Willst du uns ein Angebot machen, Römer?«
»Wie ist dein Name?«, fragte Alchimio stattdessen.
»Godegisel, Sohn des Argaith.«
Der Zenturio hatte den Namen nie vorher gehört, doch wer konnte schon den Überblick über die komplizierten Strukturen des niedrigen gotischen Adels behalten.
»Godegisel, ich habe den Kaiser Ostroms hier bei mir.«
Der Gote beherrschte sich hervorragend, das interessierte Glitzern in seinen Augen verriet ihn allerdings.
»Valens selbst ist bei dir?«
»Er steht unter meinem Schutz«, korrigierte Alchimio ihn.
»Kaiserliche Leibgarde also, ja?«
Der Adlige verzog das Gesicht. Gegen Leibgardisten zu kämpfen, musste auch bei großer Überlegenheit unweigerlich viele Opfer mit sich bringen. Es schien, als habe Godegisel dazu derzeit keine große Lust, und Alchimio schöpfte neue Hoffnung.
»Wenn du dem Kaiser freies Geleit nach Adrianopel gewährst, sollst nicht nur du reichhaltig beschenkt werden, der Imperator wird diese Geste wohlwollend bei den künftigen Verhandlungen mit deinem Volk einbeziehen.«
»Verhandlungen? Ich kann mich furchtbar irren, Römer, aber so wie ich das sehe, hat dein großartiger Kaiser gerade eine Schlacht verloren und wir Goten überschwemmen dein kostbares Land wie eine unaufhaltsame Flut!«
Alchimio konnte Barbaren, die ihre lyrische Ader entdeckt hatten, nicht gut leiden.
»Ihr habt tapfer gekämpft und gewonnen«, gab er laut zu. »Ich bin der Letzte, der das bestreiten wird.«
»Gut.«
»Die Städte hingegen sind nicht eingenommen, ein Teil der Armee ist entkommen, die Garnisonen sind gefüllt und Gratian, der Herr des Westens, ist mit seinen Truppen auf dem Weg hierher. Wie lange, oh edler Godegisel, gedenkt das Volk der Goten sich dieser Macht entgegenzusetzen?«
Wenn der gotische Adlige beeindruckt war, so ließ er es sich nicht anmerken. Vielmehr machte er eine abfällige Handbewegung.
»Ich bin mir nicht sicher, ob ich deinem Kaiser freies Geleit geben möchte«, sagte er schließlich nachdenklich.
»Es wäre zu deinem Vorteil!«
»Ja, vielleicht. Ich erinnere mich da an eine Szene, als wir gerade die Donau erreicht hatten und dein Kaiser uns freien Siedlungsraum versprach. Wir setzten über den Fluss, mit nichts mehr in unseren Händen als unseren Schwertern, ohne Hab und Gut. Die versprochenen Hilfsgüter trafen nicht ein, nein, und die Römer forderten von uns, unsere eigenen Frauen und Kinder in die Sklaverei zu verkaufen, damit sie uns Hundefleisch lieferten. Hundefleisch, Zenturio. Hast du schon mal Hundefleisch gegessen? Fleisch räudiger Straßenköter, mit großer Effizienz von Euren Soldaten eingefangen und an uns geliefert?«
»Nein, habe ich noch nicht.«
Godegisel nickte. »Dachte ich mir.«
»Ich leugne nicht, dass große Fehler gemacht worden sind«, erwiderte Alchimio schwach. Der Zenturio wusste nur
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