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Die Ankunft

Die Ankunft

Titel: Die Ankunft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dirk van Den Boom
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diesen neuen Wundern offensichtlich rettungslos verfallen.
»Wann brechen wir auf ?«, wollte Neumann schließlich wissen.
»Und wer?«, ergänzte Becker.
Das war in der Tat die wichtigste Frage. Rheinbergs Zögern blieb keineswegs unbemerkt. Jeder wusste, was das Problem war – oder zumindest wer. Nur von Klasewitz selbst schien die verstohlenen Blicke, die man ihm zuwarf, nicht zu bemerken. Er hatte sich während der gesamten Besprechung bemerkenswert ruhig verhalten.
»Ich … wir werden uns darüber später Gedanken machen«, wich Rheinberg der Antwort aus. In der Tat schwebten ihm mehrere Optionen vor, die er bereits mit Neumann diskutiert hatte.
»Wir dürfen eines nicht vergessen. Auch wenn Renna uns vertraut, so gibt es genug andere, die eine Kooperation mit uns an Bedingungen knüpfen werden«, führte er weiter auf. »Ich denke, dass dies auch die Stellung von Geiseln bedeuten kann.«
Das Wort schien von Klasewitz aus seiner Ruhe zu holen. Er riss die Augen auf und rief: »Empörend!«
»Nein, eigentlich nicht«, entgegnete Rheinberg betont ruhig. »Zu dieser Zeit ist das eine ganze normale politische Aktion. Viele Geiseln haben jahrelang am römischen Hof gelebt, wurden dabei ausgebildet, wohnten in durchaus luxuriösen Umständen und machten nach ihrer Rückkehr große Karriere. Und das ging in beide Richtungen. Ich denke da etwa an einen sehr berühmten Mann, der viele Jahre römische Geisel am Hof der Hunnen gewesen ist, nur, um sie nachher auf den Katalaunischen Feldern zu schlagen: Flavius Aetius, der letzte große Feldherr des Westens.«
Anscheinend hatten nur wenige von diesem besonderen Mann gehört, denn viele Augen blickten Rheinberg voller Neugierde an. Er beschloss, das kleine historische Detail zu unterschlagen, dass eben jener Aetius, nach jahrzehntelanger De-facto-Herrschaft über Westrom, von seinem eigenen Kaiser, Valentinian III., verraten und eigenhändig getötet worden war. Die Männer würden manche Illusion noch früh genug verlieren.
»Also, ich gehe davon aus, dass wir Geiseln stellen müssen, und hochrangige dazu. Lassen sie uns daher über Personalfragen ein andermal reden. Sobald wir von Renna und den Senatoren grünes Licht bekommen – und ich denke, wir werden das binnen 24 Stunden erfahren. Ich will die Saarbrücken bereit zum Ablegen, damit wir sofort loslegen können. Also, volle Bereitschaft. Alles klar so weit?«
Der Kapitän sah in die Runde. Viele dieser Männer hatten Familien zurückgelassen, geliebte Frauen und Kinder. Alle hatten dunkle Stunden voller Selbstzweifel erlebt, seit sie hierhergekommen waren, und vielen standen weitere dieser Stunden bevor, je mehr sich die Erkenntnis durchsetzte, dass es für sie aller Wahrscheinlichkeit nach keinen Weg mehr zurück gab. Doch jetzt sah er in den Augen der meisten so etwas wie Hoffnung und Zuversicht, sah sie Pläne schmieden und Visionen entwickeln.
Er ließ sie gehen und über alles nachdenken.
Als er allein in der Messe stand, fiel sein Blick auf die Karte.
»Sremska Mitrovica«, las er den Namen der serbischen Ortschaft, die zu seiner Zeit dort stand, wo es jetzt Sirmium gab. Er ließ seinen Zeigefinger darauf ruhen. Egal, wie sich die Personalfragen schließlich beantworten lassen würden, eine Antwort war bereits jetzt sehr klar für ihn.
Er würde zum Hof des Kaisers reisen.
Er würde vor das Antlitz des Flavius Gratianus treten und versuchen, ihn zu einer Revolution zu überreden.
Er war definitiv verrückt.

23

    »Was genau geht da in Ravenna eigentlich vor sich?«
Secundus sah von seiner Schriftrolle auf. Der Sekretär war dermaßen in seinen Text vertieft gewesen, dass er einen Moment benötigte, um zu bemerken, dass die Frage an ihn gerichtet war. Der dünne Mann mit dem schütteren Haarkranz lehnte sich zurück und blickte sehnsuchtsvoll auf die Weinkaraffe. Doch ehe der Bischof nicht selbst nachschenkte, war es höchst unschicklich, selbst zum Wein zu greifen. Ambrosius hatte Geduld, viel mehr als der rund zwanzig Jahre ältere Sekretär je in seinem Leben würde aufbringen können.
Der Bischof von Mailand war achtunddreißig Jahre alt, ein Mann, der den Zenith seines Lebens bereits erreicht hatte. Das schmale Gesicht war von einer sorgsam gepflegten, dünnen Bartzier geschmückt und wurde von einer großen, nach unten gerichteten Nase mit langem Nasenbein dominiert. Am augenfälligsten jedoch war die Tatsache, dass sein rechtes Auge etwas tiefer lag als das linke, was den Bischof aber nicht daran

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