Die Ankunft
den Schlaftabletten meiner Stiefmutter stibitzen und anschließend – gnädigerweise – entkommen.
O Mann, wie junkiemäßig klingt das denn? Schlaftabletten und der Duft eines Jungen, um meinen Problemen zu entfliehen – war das schon die schiefe Bahn des knallharten, realitätsverdrängenden Drogenmissbrauchs? Als Nächstes kam dann Crack! Heroin! Crystal Meth!
Oder auch nicht.
Schließlich kam Dalton mit meinem Rucksack heraus. Er hatte noch immer seine Sportsachen an, trug aber jetzt zusätzlich eine Jacke, deren Kapuze er sich übergezogen hatte. Ich zog mir ebenfalls die Kapuze über den Kopf, und dann liefen wir zu dem Lexus, der in der Auffahrt stand. Bald darauf waren wir auf dem Rückweg zu mir nach Hause, während irgendein Lied in vollem Digital-Surround-Sound aus dem Radio dröhnte. Dalton sang lauthals mit, oder versuchte es zumindest. Andauernd vergaß er den Text und schmetterte zu der Melodie irdendeinen unverständlichen Schwachsinn mit. Dabei lachte er in sich hinein und wechselte kaum ein Wort mit mir.
Schließlich hielten wir vor meinem Haus, das mir unglaublich schäbig und billig vorkam, nachdem ich in Daltons makelloser Bilderbuch-Residenz gewesen war. Wir kamen keinen Augenblick zu früh. Ich weiß nicht, wie die Zeit so schnell vergehen konnte, doch war es bereits kurz vor 20 Uhr.
Dalton musterte mich schweigend, als ich meinen Rucksack nahm und nachschaute, ob noch alles da war, das ich mitgenommen hatte – meine Schlüssel, meinen Ausweis. » Danke, dass du mich nach Hause gebracht hast«, sagte ich. » Und fürs Reden. Es ist schön, jemanden gefunden zu haben, der auch so ist wie wir, auch wenn wir nicht wissen, warum wir sind, was wir sind.«
Er lächelte mich an.
Ich biss mir auf die Unterlippe. » Ähm, der blöde Vorfall mit deinem Vater tut mir leid. Er hat mich ein bisschen wahnsinnig gemacht. Normalerweise bin ich nicht so. Normalerweise provoziere ich nie irgendjemanden.« Ich dachte an die letzten Nächte, in denen ich in Auseinandersetzungen verwickelt gewesen war, Jungs herumgeschubst und einen Mörder ins Gesicht geschlagen hatte. » Na ja, jedenfalls meistens nicht. Okay. Tja, dann bis morgen.«
Als ich den Türgriff umfasste, packte er mich plötzlich am Handgelenk. » Hey«, sagte er und lehnte sich ganz nahe zu mir herüber.
Ich rückte ab.
Genau wie in seinem Zimmer kam er mir wieder viel zu nahe. Es war, als ob er in meine Privatsphäre eindringen würde, ohne zu merken, dass sich das nicht gehörte.
» Was hey?«, entgegnete ich leise. » Soll ich dir ein paar Schlaftabletten holen? Vielleicht sollte ich das tun.«
Er schloss die Augen und atmete lang und tief durch die Nase ein. Als er ausatmete, sah er ganz beschwingt aus. » Wow«, sagte er und öffnete wieder die Augen. » Weißt du eigentlich, wie du riechst?«
» Ähm …«
Er schüttelte den Kopf. » Nicht schlecht, Emily. Ganz und gar nicht. Es macht mich ganz gelassen. Und ich bin niemals gelassen.« Er lehnte sich noch weiter zu mir herüber und sog noch einmal meinen Geruch ein.
Da wurde es mir klar: Pheromone. War ich auch so, wenn ich mit Spencer zusammen war? So anhänglich und schnüffelig? Wie ungeheuer peinlich. Ich wünschte mir, dass ich jedes Zusammentreffen mit Spencer seit Sonntag nachträglich auslöschen könnte. Aber Moment mal: Der einzige Grund, warum ich so auf Spencer reagierte, ist der, dass er, wie ich annehme, mein Gefährte ist. Korrekt? Ich konnte Daltons ganz individuellen Wolfsgeruch erfassen, doch löste er bei mir nicht viel mehr aus, als mich an das zu erinnern, was mir fehlte. Und das war Spencer. Warum also sollte Dalton mich anziehend finden? Ich meine, der Typ war ganz süß und so, aber abgesehen davon, dass ich ihm letzte Woche als Nächtliche Emily das Gesicht abgeleckt hatte, stand ich nicht unbedingt auf ihn. Ich sollte doch sicherlich nur einen Gefährten haben und er mich. Vielleicht lag es auch daran, dass er seine sogenannte Gefährtin noch nicht gefunden hatte. Möglicherweise handelte es sich dabei um das andere Mädchen, das wir noch nicht aufgespürt hatten. Als ich noch auf der Suche gewesen war, war ich definitiv nicht wählerisch gewesen. Ich war sogar leidenschaftlich hinter einem Fläschchen flüssiger Pheromone her gewesen. Das nenne ich Verzweiflung. Ich schob Dalton sanft weg. » Ich weiß, dass das alles neu für dich ist, aber ich glaube, es ist normal. Das sind nur die Pheromone. Da melden sich die Wolfsinstinkte, kapiert? Weder mache
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