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Die Anstalt

Die Anstalt

Titel: Die Anstalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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Francis? Dass ich nicht lache. Das Ende gehört mir, hat es immer, wird es immer.«
    Ich wusste nicht, was ich denken sollte. Seine Drohung war in diesem Moment so real wie so viele Jahre davor. Doch ich kämpfte weiter und sagte mir, dass ich es wenigstens versuchen musste. Ich wünschte mir, Peter wäre mir zu Hilfe gekommen, und er hatte offenbar meine Gedanken gelesen. Vielleicht stöhnte ich auch Peters Namen laut, ohne es zu merken, denn der Engel lachte wieder. »Diesmal kann er dir nicht helfen. Er ist tot.«

30
    P eter hetzte durch den Flur des Amherst-Gebäudes, streckte den Kopf in den Tagesraum, blieb vor den Untersuchungszimmern stehen, warf einen kurzen Blick in den Speisesaal, bog um mehrere Patientengruppen herum, doch weder Francis noch Lucy Jones schienen irgendwo in der Nähe zu sein. Er hatte das überwältigende Gefühl, dass etwas von zentraler Bedeutung im Gange war und dass er daran gehindert wurde, dabei zu sein. Ein Erinnerungsfetzen geisterte ihm durch den Kopf, wie er in Vietnam durch den Dschungel lief. Im Krieg erschienen der Himmel über einem, die feuchte Erde unter den Füßen, die überhitzte Luft und das feuchte Laub, das einem um die Kleider strich, genauso wie an jedem anderen Tag, doch außer einem sechsten Sinn sagte einem nichts und niemand, ob sich hinter der nächsten Biegung ein Heckenschütze in einem Baum versteckte oder ein Hinterhalt auf einen lauerte oder sich auch nur ein fast unsichtbarer Draht über den Pfad spannte, der geduldig darauf wartete, dass ein falscher Schritt die vergrabene Tretmine zündete. Alles war Routine, alles war in Ordnung und normal, ganz und gar nach Plan, gäbe es nicht das, was sich versteckte und eine Tragödie in Aussicht stellte. Das war es, was er in diesem Moment in dieser Anstalt sah.
    Einen Moment lang verweilte er an einem der vergitterten Fenster, wo ein alter Mann in einem stumpf glänzenden Rollstuhl ohne Betreuung stehen geblieben war. Dem Mann lief die Spucke in einer weißen Linie über das Kinn, wo sie sich im grauen Stoppelbart verlor. Sein Blick war auf die Landschaft jenseits des Fensters fixiert, und Peter fragte ihn: »Was sehen Sie, alter Mann?«, bekam aber keine Antwort. Der Regen rann daran herunter und verzerrte die Sicht, und hinter diesen zufälligen Streifen schien wenig außer einem grauen, feuchten, gedämpften Tag zu sein. Peter beugte sich hinunter, nahm eines von den braunen Papiertüchern, die der Mann auf dem Schoß liegen hatte, und wischte ihm übers Kinn. Der Mann sah nicht zu Peter hoch, nickte aber dankbar. Doch der alte Mann blieb ein unbeschriebenes Blatt. Was er auch über sein Leben denken, aus seiner Vergangenheit in Erinnerung haben oder sogar für die Zukunft planen mochte, verlor sich in dem Nebel, der sich direkt hinter seine Augen gelegt hatte. Das, was vom Leben dieses Mannes noch übrig war, hatte kaum mehr Bestand als die Regentropfen, die die Scheibe herunterliefen.
    Hinter ihm schlurfte eine Frau mit langem, ungepflegtem, grausträhnigem Haar, das ihr wie elektrisch geladen um den Kopf zu Berge stand, von rechts nach links durch den Flur, blieb urplötzlich stehen, sah zur Decke hoch und sagte: »Cleo ist tot. Sie ist für immer tot …« Dann schaltete sie ihren Motor wieder ein und lief im gleichen Gang weiter.
    Peter schlug die Richtung zum Schlafsaal ein. Kümmerliches Zuhause, musste er denken. Ein Tag noch, zwei, mehr nicht. Ein Wust an Papierkram, ein Handschlag oder Kopfnicken. Ein »Viel Glück!«, und das war’s dann auch schon. Sie würden Peter the Fireman holen, und etwas anderes würde sein Leben nahtlos übernehmen.
    Er war nicht ganz sicher, was er von dem Ganzen halten sollte. Das war der Einfluss der Klinikwelt, dachte er. Er erzeugte Unentschlossenheit. In der realen Welt waren Entschlüsse klar definiert, und es bestand zumindest die Möglichkeit, ehrliche Entscheidungen zu treffen. Es gab Faktoren, die man abwägen und einschätzen und ausbalancieren konnte. Und dann fiel die Entscheidung. Doch hinter den verschlossenen Türen galt das alles nicht mehr.
    Lucy hatte sich das Haar geschnitten und blond gefärbt. Wenn das nicht den Tätertrieb des Mannes weckte, den sie jagten, dann wusste er nicht, was sonst. Peter knirschte einen Moment mit den Zähnen. Er sah zur Decke – wie ein Autofahrer, der darauf wartet, dass die Ampel von Rot auf Grün springt. Er fand, dass Lucy ein hohes Risiko einging. Auch Francis wandelte auf einem schmalen Grat. Von ihrem Dreierteam

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