Die Anstalt
eierschalenweiße Latex-Farbe, matt, eine Rolle, eine Wanne und ein großer, harter Pinsel.
»Sehen Sie, C-Bird«, sagte Lucy mit Bedacht, indem sie ihre Worte mit richterlicher Präzision und Sorgfalt wählte. »Fast jeder könnte hier reinkommen und die Geschichte lesen, die Sie an die Wand geschrieben haben. Und jeder kann sie sich auf seine Weise auslegen und sich zum Beispiel fragen, wie viele Leichen denn nun tatsächlich auf dem alten Friedhof der staatlichen Anstalt begraben sind. Und wie diese Leichen dorthin gekommen sind.«
Ich nickte.
»Andererseits ist das Ihre Geschichte, Francis, und Sie haben das Recht, sie zu erzählen. Daher die Notizblöcke, die von Dauer sind und entschieden mehr Vertraulichkeit wahren als die Worte an der Wand. Die fangen schon jetzt an zu verblassen, und bald werden sie nicht mehr zu entziffern sein.«
Ich sah, dass sie die Wahrheit sagte.
Lucy lächelte und machte den Mund auf, um etwas hinzuzufügen, doch dann überlegte sie es sich anders.
Stattdessen lehnte sie sich einfach nur vor und küsste mich auf die Wange.
»Es ist schön, Sie wiederzusehen, C-Bird«, sagte sie. »Passen Sie von jetzt ab besser auf sich auf.«
Dann stützte Lucy sich schwer auf den Stock und hinkte, indem sie bei jedem Schritt das ruinierte rechte Bein nachzog – ein bleibendes Andenken an jene Nacht –, aus dem Zimmer. Big Black und Little Black sahen ihr eine Weile nach, bevor auch sie mir wortlos die Hand schüttelten und ihr folgten.
Als die Tür zuschnappte, drehte ich mich um und betrachtete die Wand. Ich überflog all die Wörter, und noch während ich las, packte ich die Bleistifte und die Schreibblöcke aus. Ich brauchte nicht mehr als ein paar Sekunden, um mit der Abschrift zu beginnen, und so fing ich links oben an:
Francis Xavier Petrel traf weinend im rückwärtigen Teil eines Krankenwagens im Western State Hospital ein. Es regnete stark, die Dunkelheit brach schnell herein, und seine Arme und Beine steckten in Fußfesseln und einer Zwangsjacke. Er war einundzwanzig Jahre alt und hatte so große Angst wie in seinem ganzen kurzen und bis dahin ereignislosen Leben noch nicht …
Die Zeichnung, dachte ich, konnte ruhig ein paar Tage warten.
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Über John Katzenbach
John Katzenbach war Gerichtsreporter für den
Miami Herald
und die
Miami News
, bevor er sich der Schriftstellerei zuwandte. Er hat in den USA bereits neun Kriminalromane veröffentlicht, darunter zahlreiche Bestseller. Zweimal war er für den Edgar Award nominiert. Er lebt im Westen des US -Bundesstaates Massachusetts.
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Impressum
Die amerikanische Originalausgabe erschien 2004 unter dem Titel »The Madman’s Tale« bei Ballantine Books, New York
Deutsche Erstausgabe Juni 2006
Copyright © 2004 by John Katzenbach
Copyright © 2006 für die deutschsprachige Ausgabe by
Knaur Taschenbuch.
Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt
Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG , München.
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit
Genehmigung des Verlags wiedergegeben werden.
Redaktion: Ilse Wagner
Covergestaltung: ZERO Werbeagentur, München
Coverabbildung: Getty Images
ISBN 978-3-426-40008-1
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