Die Anstalt
spät.«
Die Psychiaterin sah auf. »Drei Fälle, Euer Ehren«, sagte sie mit einem leichten Stottern, »die keine Probleme machen dürften. Zwei der Männer sind als retardiert diagnostiziert, und der dritte ist aus einem katatonischen Zustand aufgetaucht und zeigt mit Hilfe einer antipsychotischen Medikation große Fortschritte. Gegen keinen ist ein Verfahren anhängig …«
»Komm schon, C-Bird«, flüsterte Big Black ein wenig nachdrücklicher, »wir müssen zurück. Hier passiert nix Neues mehr. Diese Fälle werden nur noch abgehakt und dann ab die Post. Zeit für uns, zu gehen.«
Francis warf noch einen Blick auf die junge Psychiaterin, die den pensionierten Richter weiter unterrichtete: »… Alle diese Herren wurden bereits bei mehreren früheren Gelegenheiten beurlaubt, Euer Ehren …«
»Gehen wir, C-Bird«, sagte Big Black in einem Ton, der keinen Raum für Diskussionen ließ. Francis wusste nicht, wie er ihm klar machen sollte, dass das, was jetzt kommen sollte, eigentlich der Grund dafür war, dass er den ganzen Tag hier zugebracht hatte.
Er stand auf, und Francis erkannte, dass er keine Wahl hatte. Big Black schob ihn in Richtung Tür, und Francis ging mit. Er drehte sich nicht noch einmal um, auch wenn er das Gefühl hatte, dass zumindest einer der drei Männer, die noch übrig waren, sich ein wenig auf seinem Stuhl herumgedreht hatte und in seine Richtung sah, so dass sich sein Blick Francis in den Rücken brannte. Er spürte eine Präsenz, die heiß und kalt in einem war, und er begriff, dass der Mörder genau das empfand, wenn er sein Opfer in panische Angst versetzte und mit dem Messer in der Hand seine Macht auskostete.
Einen Moment lang glaubte er, eine Stimme zu hören, die ihm nachrief:
Du bist keinen Deut anders als ich!
, doch dann erkannte er, dass in dem Raum nicht wirklich etwas zu hören war außer den Stimmen der Teilnehmer an diesem eintägigen Verhandlungsmarathon. Was er hörte, war eine Halluzination.
Sie war real und nicht real.
Lauf, Francis, lauf!
, tobten seine eigenen Stimmen.
Doch das tat er nicht. Er ging einfach langsam weiter und stellte sich dabei vor, dass der Mann, den sie jagten, unmittelbar hinter ihm war, dass aber niemand, weder Lucy noch Peter oder die Moses-Brüder, Mr. Evil oder Dr. Gulp-a-pill ihm glauben würde, wenn er versuchte, es ihnen zu sagen. Es waren noch drei Patienten in diesem Raum. Zwei waren das, wofür man sie hielt. Einer nicht. Und Francis glaubte, hinter dieser einen aufgesetzten Maske der Geisteskrankheit das höhnische Gelächter des Engels zu hören.
Und noch etwas verstand er jetzt: Der Engel schien das Risiko zu lieben, doch Francis selbst hatte wohl das Maß des für ihn Akzeptablen überschritten. Der Engel würde ihn nicht mehr lange am Leben lassen.
Big Black hielt die Tür zum Verwaltungsgebäude auf, und sie beide traten in den Nieselregen hinaus. Francis hob das Gesicht zum Himmel und fühlte, wie ihm die Nebelschwaden über die Wangen strichen, als könnten sie alle Ängste und Zweifel wegwaschen. Der Tag ging rasch zu Ende, die graue Wolkendecke verdunkelte sich zu einem bleichen Schwarz, das die Nacht ankündigte. In der Ferne konnte Francis den Lärm einer Maschine hören, die schwer und zügig arbeitete, und er starrte über das Klinikgelände. Drüben beim Garten, auf dem provisorischen Friedhof in der entferntesten Ecke des Western State, lud ein leuchtend gelber Löffelbagger die letzten ein, zwei Fuhren Erde auf dem Boden ab.
»Moment mal, C-Bird«, sagte Big Black und blieb abrupt stehen. »Lass uns einen Moment hier warten.« Der hünenhafte Pfleger senkte den Kopf, und Francis hörte ihn »Vater unser, der du bist im Himmel …«, und den Rest des kurzen Gebets murmeln.
Francis lauschte schweigend. Als Big Black den Kopf hob, sagte der Pfleger: »Ich glaube, das sind so ziemlich die einzigen Worte, die über dem Grab der armen Cleo gesprochen werden.« Er seufzte. »Vielleicht hat sie jetzt mehr Frieden. Zu Lebzeiten hat sie weiß Gott wenig davon gehabt. Das ist wirklich traurig, C-Bird. Wirklich traurig. Sorg dafür, dass ich mal nicht über dir ein Gebet sprechen muss. Warte einfach ab. Das wird alles werden. Verlass dich drauf.«
Francis nickte. Obwohl er es glauben wollte, gelang es ihm nicht so ganz. Und als er noch einmal in den dunkler werdenden Himmel blickte und in der Ferne hörte, wie Cleos Grab aufgefüllt wurde, hatte er das deutliche Gefühl, dass er der Ouvertüre einer Symphonie mit
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