Die Anstalt
überzogen. Einer lautete: BÖSE JUNGS SIND DIE GRÖSSTEN ! Vermutlich war das so. In den Decken waren Rohre geplatzt, aus denen stinkendes dunkles Wasser auf die Linoleumböden tropfte, und in jeder Ecke lagen Schutt und Müll, Staub und Dreck. In den abgestandenen Geruch des Alters mischte sich unverkennbar der Gestank menschlicher Exkremente. Ich lief ein paar Schritte weiter, musste aber stehen bleiben. Eine Faserplatte hatte sich gelöst und war so in den Flur gesackt, dass sie den Weg versperrte. Ich sah die Haupttreppe zu meiner Linken, die zu den oberen Stockwerken führte, doch sie war mit noch mehr Unrat übersät. Ich wollte einmal durch den Tagesraum links von mir gehen, ich wollte die Behandlungszimmer sehen, die sich im ersten Stock aneinander reihten. Ich wollte auch einmal in die Zellen im obersten Stock, wo wir eingesperrt wurden, wenn wir mit unseren Medikamenten oder unserem Wahnsinn kämpften, und die Schlafsäle, in denen wir wie unglückselige Camper reihenweise in Metallbetten untergebracht waren. Doch die Treppe sah baufällig aus, als könnte sie unter meinem Gewicht schwanken und zusammenbrechen, falls ich sie betrat.
Ich kann nicht mehr sagen, wie lange ich vornüber gebeugt da drinnen hockte und auf den Nachhall von alldem lauschte, was ich hier einmal gehört und gesehen hatte. Wie damals in meinen Tagen als Patient schien die Zeit weniger zu drängen, nicht so unaufhaltsam fortzuschreiten, als ob der kleine Zeiger meiner Uhr auf einmal kriechen würde und die Minuten nur widerstrebend verstrichen.
Erinnerungen lauerten mir wie Gespenster auf. Ich konnte Gesichter sehen, Geräusche hören. Ich schmeckte und roch den Wahnsinn und die Verwahrlosung. Die Vergangenheit holte mich wie eine Flutwelle ein und zog mich in ihre Strudel.
Als die Hitze der Erinnerung mich schließlich überwältigte, erhob ich mich langsam und verließ das Gebäude. Ich ging zu einer Bank unter einem Baum und setzte mich, um noch einmal zu meinem früheren Zuhause hinüberzublicken. Während ich mit Mühe die frische Luft einsog, fühlte ich mich erschöpfter als nach meinen üblichen Ausflügen durch meine Heimatstadt. Ich starrte unverwandt in dieselbe Richtung, bis ich auf dem Gehweg hinter mir Schritte hörte.
Ein kleiner, korpulenter Mann, ein wenig älter als ich, mit gelichtetem, grau meliertem, angeklatschtem Haar kam zu mir herübergerannt. Er hatte ein breites Lächeln aufgesetzt, doch einen leicht beunruhigten Ausdruck in den Augen, und als ich mich zu ihm umdrehte, winkte er verstohlen.
»Dachte mir schon, dass ich dich hier finde«, sagte er schwitzend und keuchend. »Ich hab deinen Namen auf der Anwesenheitsliste gesehen.«
Er blieb, plötzlich unschlüssig, in einigem Abstand stehen.
»Hallo, C-Bird«, sagte er.
Ich stand auf und streckte ihm die Hand entgegen. »Bonjour, Napoleon«, erwiderte ich. »So hat mich seit vielen, vielen Jahren niemand mehr genannt.«
Er nahm meine Hand. Seine war vom Laufen ein wenig verschwitzt, und sein Griff war schlaff. Das war vermutlich die Folge seiner Medikamente. Doch das Lächeln blieb. »Mich auch nicht«, sagte er.
»Ich hab deinen richtigen Namen auf dem Programm gesehen«, sagte ich. »Du hältst eine Rede?«
Er nickte. »Ich weiß nicht, wie ich es schaffen soll, da vorn vor all den Leuten zu stehen«, sagte er. »Aber der Arzt, bei dem ich in Behandlung bin, gehört zu den Machern bei diesem Umbauprojekt, und es war ganz und gar seine Idee. Er sagte, es wäre eine gute Therapie für mich. Eine solide Demonstration auf dem glorreichen Weg zur vollständigen Heilung.«
Ich zögerte, bevor ich fragte: »Und was meinst
du?«
Napoleon setzte sich auf die Bank. »Ich glaube, er ist der Verrückte von uns beiden«, antwortete er und brach in ein leicht manisches Kichern aus, einen schrillen Laut, in den sich Nervosität und Freude mischten und den ich aus unserer gemeinsamen Zeit in Erinnerung hatte. »Natürlich ist es hilfreich, dass alle einen immer noch für vollkommen irre halten, denn dann kann man sich nicht allzu schlimm blamieren«, fügte er hinzu, und ich fiel in sein Grinsen ein. Eine solche Bemerkung konnte nur von jemandem stammen, der eine gewisse Zeit in einer Nervenheilanstalt zugebracht hatte. Ich setzte mich neben ihn, und wir starrten beide zum Amherst-Gebäude hinüber. Nach einer Weile seufzte er.
»Bist du reingegangen?«
»Ja. Es ist ein Saustall. Reif für die Abrissbirne.«
»Das fand ich schon damals, als wir da gehaust
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