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Die Apothekerin

Die Apothekerin

Titel: Die Apothekerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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Mehrmals fragte sie, wozu ich die Mansarden eigentlich brauche. Für Gäste zum Beispiel, sagte ich, als Bibliothek vielleicht oder Hobbyraum.
    Die Zimmer unter dem Dach waren bisher nicht renoviert worden. Ein neuer Teppichboden sollte verlegt werden, helle Tapeten mußten her. Margot stöhnte. Es lohne sich doch nicht, vorher zu putzen! Damit hatte sie irgendwie recht, aber den groben Dreck und die Spinnweben wollte ich aus Prinzip nicht im Haus haben, Ungeziefer konnte sich ausbreiten.
    Wir schrubbten und kehrten gemeinsam. »Isch hab’ als gedenkt«, bemerkte Margot kameradschaftlich, »die kloa Krott hot Bärenkräft druff.«
    Das sollte ein Kompliment sein. Ich schwieg, aber sie plauderte weiter.
Sicher sei Levin schon auf dem Heimweg, vielleicht bereits in Barcelona, denn am besten schlafe es sich doch daheim…
Ich bekam eine Gänsehaut.
Es kostete mich einige Überwindung, ihr in diesem Moment fast intimer Zweisamkeit erneut die Kündigung auszusprechen. Aber als sie wiederholt von »unserm« Levin sprach, konnte ich nicht mehr an mich halten.
»Es hat dich nicht zu interessieren, wann mein Mann zurückkommt«, erklärte ich. »Dich geht eigentlich nur an, daß du dir dringend eine Wohnung suchen mußt. Wenn du es nicht freiwillig tust, werde ich einen Rechtsanwalt einschalten. Wir haben keinen Mietvertrag mit euch, wie du vielleicht weißt.«
Margot verlegte sich auf unterwürfige Bitten. Sie könne ja die Wohnung im ersten Stock räumen und mit Dieter hier oben wohnen, dann hätte ich vier zusätzliche Zimmer.
»Wie stellst du dir das vor«, widersprach ich. »Hier oben ist kein Bad und keine Küche, die Wasserrohre reichen nur bis zum ersten Stock.«
Das könne man doch machen lassen, schlug sie mit dem Blick eines furchtsamen Kaninchens vor.
»So? Und wer bezahlt das? Du vielleicht?«
Die Gaubenfenster der Mansarde hatten es mir besonders angetan. Ich konnte mir gut mein geheimes Refugium hier oben vorstellen, ein Reich, zu dem allen Hausbewohnern der Zutritt verwehrt war. Die Fenster waren blind vor Schmutz.
Inzwischen war Margot in einen Arbeitsrausch geraten und holte frisches Wasser und stinkige Lappen aus der eigenen Wohnung. Offenbar hatte sie das Gefühl, mich damit milder zu stimmen. Eigentlich brauchten die Fenster nur gestrichen zu werden, sie waren von unverwüstlich guter Qualität. Ich saß auf dem Fensterbrett und angelte mir die Klappläden, um sie zu schließen und auf den Grad ihres Verfalls zu untersuchen. Es war solide Arbeit, aber natürlich blätterte der Anstrich ab. Margot begab sich mit einem Eimer an das zweite Fenster.
»Die Läden müssen ausgehängt werden, Dieter soll sie abbeizen und streichen«, sagte ich.
Das täte er bestimmt, versicherte Margot bereitwillig.
Ich kletterte auf das Fensterbrett und versuchte, den Laden aus den Angeln zu heben, es gelang mir nicht.
»Des is nix für uns, des is was für die Mannsleit«, sagte Margot mißbilligend. Aber mein Ehrgeiz war geweckt. »Halt mich mal fest, Margot«, befahl ich.
Margot packte meine Beine und klemmte mich in einen eisernen Schraubstock. Ich roch ihren Schweiß. Leider war ich zu kurzarmig, um die Klappläden fest in den Griff zu kriegen. »Ein Tropfen Öl in die Scharniere«, sagte ich, »und es ist ein Kinderspiel.«
Ich lief hinunter, um mein Nähmaschinenöl zu holen.
Als ich wieder oben war, kniete Margot auf dem Fensterbrett. Ihr Gesicht war ganz rot vor Anstrengung. »Hella, kumm un heb misch!« rief sie eifrig, »isch hob längere Arm!«
Ich trat herzu und hielt sie widerwillig an den Knöcheln fest. Ihre Beine waren blau-rot marmoriert, nach einer Rasur wuchsen dunkle Stoppelhaare. Die ausgeleierten Leggins reichten nur bis zum Knie. Aus den grünen Pantoffeln lugten leichengelbe Hornhautfersen heraus. Ich ekelte mich unsäglich; was mich endgültig aus der Fassung brachte, war ein feines Rinnsal Schweiß, das langsam und stetig aus dem Hosenbein auf meine rechte Hand zulief.
Sie richtete sich aus der Hocke auf. Mit einem Ruck hielt sie den Laden plötzlich in den Händen und geriet von dem unerwarteten Gewicht ins Wanken.
In diesem Augenblick erreichte mich der glitschige Schweißtropfen, und ich ließ aus einem spontanen Impuls unbeschreiblichen Ekels jählings los. Margot stürzte ab, den Fensterladen in beiden Händen. Entsetzt starrte ich in die Tiefe. Zwei Stockwerke unter mir lag sie, ob tot oder lebendig konnte man nicht erkennen. In meiner Hast warf ich den Eimer mit schwarzem Wasser um, fiel über

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