Die Apothekerin
meine Mutter sagen. Mein Vater verfiele in Depressionen. Sollte ich es noch einmal mit Levin versuchen? Er war noch so jung, man konnte ihm mehr Verantwortungsbewußtsein und Ernsthaftigkeit eintrichtern. Schließlich hatte Hermann Graber ihn mir anvertraut, mußte ich seinen letzten Willen nicht respektieren? Außerdem fühlte ich mich viel zu schlapp, um eine Entscheidung zu treffen.
Ich mochte an die zwei Stunden lang vor mich hin gegrübelt haben, als es unverhofft an die Schlafzimmertür klopfte. Es war Dieter. Wie es mir gehe, ob ich etwas brauche. »Wir sind gleich fertig, und alles ist wieder tipptopp«, sagte er. »Mir dröhnt nur ziemlich der Kopf. Magst du mit Spazierengehen?«
Es hätte mir mehr geholfen, eine Stunde lang im Novembernebel herumzulaufen als im Bett zu liegen. Aber ich lehnte trotzdem ab; der Gedanke, daß Margot und Levin allein im Hause blieben, erschien mir unerträglich, obgleich es doch am Montag schon wieder der Fall sein würde.
»Margot muß weg!« sagte ich plötzlich laut vor mich hin. Eine schriftliche Kündigung - per Einschreiben - war sicher der erste Schritt. Und zwar schon morgen, beschloß ich.
Gottlob ließ sich Margot an meinem Schmerzenslager nicht blicken, aber Levin kam und fragte, ob ein erneuter Tee oder eine Tütensuppe fällig wären. »Der Margot geht’s auch nicht gerade gut«, bemerkte er unpassenderweise. Ich starrte zum Fenster hinaus.
»Hast du in diesem Jahr noch Urlaub gut?« begann er wieder.
Ich war zwar schlecht gelaunt, aber trotzdem neugierig.
Levin zog eine Heiratsanzeige aus der Tasche. Eine Dr. med. dent. lsabel Böttcher kündigte die Heirat mit einem Kollegen an, der einen ellenlangen spanischen Namen trug. Das sei eine Studienfreundin, die sich in Granada in einen Mann aus bester Familie verliebt habe. Eine Hochzeit in Andalusien, das sei doch eine Sause wert.
Ich war bei allem Gram nicht abgeneigt. Das Fest fand schon am kommenden Wochenende statt. »Ob man noch Flugtickets bekommt?« fragte ich.
Levin lachte. Fliegen sei langweilig, natürlich werde er den Porsche nehmen.
Ich schwieg und litt. Mehr als fünf Tage konnte ich auf keinen Fall frei nehmen, mit dem Auto war mir das zu anstrengend. »Fahr alleine«, hauchte ich.
Levin schüttelte den Kopf. »Bei der langen Strecke sollte man sich gelegentlich abwechseln. Warum willst du nicht? So alt bist du doch auch noch nicht!«
Es war scherzhaft gemeint, aber es traf mich. »Weißt du eigentlich, was es heißt, berufstätig zu sein? Solche Touren sind wie geschaffen für arbeitsscheue Studenten.«
»Ich seh’s ja ein«, sagte Levin, »ich werde mal Dieter und Margot fragen.«
»Wenn du Margot mitnimmst, reiche ich morgen die Scheidung ein.«
Levin sah mich wachsam an. »Eifersüchtig?«
»Auf so eine? Ich kann sie nicht ausstehen, das weißt du. Aber zu Eifersucht habe ich ja wahrlich keinen Grund.«
Levin witterte Unheil. Er verzog sich.
Ich erfuhr am Abend, daß er schon bei Morgengrauen starten werde, da Dieter nicht mitfahren konnte. »Damit du dich nicht aufregst, mache ich zwischendurch auch mal Pause«, sagte er.
Ich nahm fünf Baldriandragees, um ihm am nächsten Morgen nicht versehentlich den Kaffee zu machen. Levin packte und schlief wohl ein paar Stunden neben mir, ohne daß ich es merkte. Als ich aufwachte, waren Porsche und Levin unterwegs nach Spanien.
Levins Abwesenheit nutzte ich zu einer unfairen Tat. Ich setzte eine Anzeige in die Zeitung: MÖBEL AUS OPAS ZEITEN BILLIG ABZUGEBEN. Bisher hatten wir nicht darüber gesprochen, wem Hermann Grabers düsteres Eichenbuffet und ähnliches Inventar gehörten - mir oder ihm. Im Testament blieb dieser Punkt unerwähnt. Ob Levin nun daran hing oder nicht, ich wollte die Mansarden leeren und sie nutzen, und zwar für mich. Er hatte sein Studier-stübchen, wo blieb meines?
An einem einzigen Nachmittag war alles verkauft. Ich habe durchaus Gefallen an schönen alten Möbeln, aber dieses Zeug war nie schön gewesen, und ich freute mich, es loszuwerden. Dieter war nicht da, und somit entging ihm, wie raffgierige Leute mit Lieferwagen, auch Profi-Trödler und Händler, keuchend den ganzen Plunder wegschleppten. Margot gaffte zwar, aber sie grübelte nicht darüber nach, ob meine Tat moralisch einwandfrei war. Grinsend winkte sie einem jungen Pärchen zu, das die schwarze Garderobe mit den geschnitzten Auerhähnen und Hirschen abtransportierte.
Am Wochenende war ich mit Margot allein und gedachte, sie wie eine Sklavin schuften zu lassen.
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