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Die Apothekerin

Die Apothekerin

Titel: Die Apothekerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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den Besen, rappelte mich hoch und sprang die Treppenstufen hinunter wie von Furien gehetzt.
Es dauerte nur Sekunden, bis ich draußen im Garten war, wo Margot auf den Steinen der Terrasse lag. Sie atmete, war aber bewußtlos. Ich fühlte ihren Puls, der gerade noch zu ertasten war. Was tun? Ich war ganz allein zu Hause.
Selbstverständlich rief ich den Rettungsdienst an. Zwei Sanitäter und ein Notarzt brachten Margot ins Krankenhaus. Einer Ohnmacht nahe versuchte ich, Dieters Spedition zu erreichen und herauszubringen, ob man ihn benachrichtigen könne. Nur ein Anrufbeantworter lief. Vielleicht war Levin in Spanien über den Radiosuchdienst zu finden?
Ich rief Dorit an. Mit tonloser Stimme sagte ich, Margot sei aus dem Mansardenfenster gestürzt.
»Ist sie tot?« fragte Dorit betroffen.
»Nein, aber man konnte mir noch nicht sagen, wie schwer verletzt sie ist.«
»Mein Gott, du bist ja fix und fertig«, sagte Dorit, »hast du es etwa gesehen?«
»Nicht direkt, aber ich war im gleichen Raum. Dann sah ich sie unten liegen, das war gräßlich.«
»Wie kann man denn einfach aus dem Fenster fallen«, fragte die kluge Dorit, »das passiert doch nur Kindern…«
»Sie wollte die Fensterläden abmontieren, sie müssen gestrichen werden.«
Dorit pfiff durch die Zähne. »Man soll zwar über Schwerverletzte nicht böse reden, aber es ist doch unverantwortlicher Leichtsinn, eine solche Arbeit selbst machen zu wollen!«
Ich korrigierte Dorit nicht.
»Es wird schon wieder werden«, sagte sie tröstend, »und vielleicht lernt sie ja etwas daraus. Beruhige dich erst einmal. Und wenn du möchtest - komm doch her!«
Ich wäre gern nach Heidelberg gefahren und hätte mich von Dorit bemuttern lassen. Aber ich war nicht in der Lage, Auto zu fahren, und mußte auch auf Dieter warten.
Um wieder einen klaren Kopf zu bekommen, machte ich mir einen starken Kaffee, doch ich erbrach ihn sofort. Dann stieg ich die Treppe hoch und betrachtete den Tatort. Mit einem Fernrohr nahm ich suchend die Häuser, die hinten an unseren Garten grenzten, ins Visier. Auch Freunde von Gero wohnten da. Hatte man von dort aus etwas beobachten können? Nein, die verhaßten Tannen versperrten die Sicht. Selbst mit dem Fernglas hätte ich meinerseits nicht erkennen können, ob man in einem jener Häuser Fenster putzte. Ein wenig beruhigte mich diese Tatsache. Außerdem waren weder Nachbarn noch Straßenpassanten herbeigeeilt, um neugierig zu gaffen, als der Krankenwagen vorfuhr.
Das Problem war Margot selbst. Sie wußte, daß ich sie losgelassen hatte. Was konnte ich zu meiner Entlastung vorbringen? Ekel war keine Entschuldigung. Und wenn mich eine Wespe gestochen hätte? »Blödsinn«, korrigierte ich mich laut, im November gab es keine Wespen. Vielleicht eine besonders eklige Spinne? Das war möglicherweise einleuchtender als ein simpler Schweißtropfen.
Nach einer Stunde rief ich im Krankenhaus an. Ob ich eine Verwandte sei, fragte man. Nein, nur eine Bekannte. Dann könne man keine Auskunft geben, aber es sei wichtig, daß die nächsten Angehörigen umgehend benachrichtigt würden und ins Krankenhaus kämen. Ich versprach, dafür zu sorgen. Hatte Margot Eltern? Ich kannte nicht einmal ihren Mädchennamen. Wen sollte ich fragen? Ich rief einen Freund von Levin an, der mir nicht weiterhelfen konnte.
    Als Dieter endlich eintraf, rannte ich ihm schon auf der Einfahrt entgegen. Er sah mir gleich an, daß etwas passiert war. »Ich bringe dich zu Margot ins Krankenhaus«, stammelte ich und holte nur noch meinen Mantel. Im Garderobenspiegel sah ich, daß ich immer noch das Kopftuch trug, das ich mir zum Putzen umgebunden hatte.
    Auf der kurzen Fahrt erzählte ich ihm die gleiche Geschichte wie Dorit.
Man brachte uns auf die Intensivstation. An Apparate und Schläuche angeschlossen lag Margot in tiefem Koma. Ein Arzt führte uns hinaus, nahm Dieter mit sich und unterrichtete ihn über Margots Zustand. Wie ich hinterher erfuhr, hatte man keine Hoffnung. Dieter durfte an ihrem Bett sitzen bleiben, ich wartete draußen. Zwei Stunden später war sie tot.
    Stumm ließ sich Dieter heimfahren. Zu Hause nahm ich ihn mit in die Küche und kochte ihm Tee, stellte auch einen Cognac daneben. Er nahm nur den Tee.
    Ich hatte keine Ahnung, ob und was ich Tröstliches anführen sollte. »Sie hat bestimmt nicht gelitten«, sagte ich, »sie hat sofort das Bewußtsein verloren.«
    »Mein Gott!« sagte Dieter nur, »sie ist so ein Pechvogel.
    Hier in diesem Haus hatte sie es endlich einmal

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