Die Apothekerin
Sachen, fein gearbeitet, allerdings aus Gold. Schließlich tat ich ja eine Menge für ihn, gab Geld für ihn aus und setzte mich für seine Interessen ein. Silberbestecke und Goldschmuck waren ein Zeichen seiner Liebe, so mußte man es sehen. Blieb noch die Frage mit dem Kind.
Die meisten meiner Klassenkameradinnen hatten entweder schon ein Kind oder machten Karriere. Vera, die als die erste gleich nach dem Abitur heiraten mußte, tat uns allen ein wenig leid. Sie hatte, völlig unzeitgemäß, keine Ausbildung, aber schon mit zwanzig ein Baby. Wir hatten in diesem Alter anderes im Kopf, reisten nach Amerika oder begannen ein - in den ersten Semestern noch freies -Studentenleben. Aber so nach und nach bildeten sich feste Paare, ich erhielt jedes Jahr Hochzeits- und Geburtsanzeigen. Zehn Jahre nach dem Abitur gab es auf einem Klassentreffen eine Menge Babyfotos zu bestaunen.
Ich gehörte weder zu denen, die Karriere gemacht oder Abenteuer erlebt hatten, noch zu den glücklichen Müttern. Natürlich gab es noch andere von meinem Schlag, aber mit denen hatte ich mich in meiner Schulzeit nie abgegeben, und sie erschienen mir auch jetzt nicht interessant.
Am Tag nach dem Klassentreffen war ich nicht zu gebrauchen. Depressiv und kränklich lag ich im Bett und fühlte mich minderwertig. Sicher kann ich gar keine Kinder kriegen, dachte ich unaufhörlich. Irgendwann werde ich es zwar versuchen, aber vergeblich. Ob ich es nicht ein einziges Mal testen sollte? Und dann? Ein vaterloses Kind und im Beruf kein Weiterkommen? Unvernünftig, sagte ich mir, warte in Ruhe ab. Mit Mitte Dreißig brauchte man doch noch keine Torschlußpanik zu kriegen, eine Frau ist heute mit vierzig noch jung und attraktiv.
Einmal hatte ich einen phantastischen Traum von meiner eigenen Hochzeit. Meinem Vater, der mich nie besuchte, ließ ich einen gebratenen Ochsen auf einer ausgehängten Tür servieren. Meine Mutter, die zwangsweise asketisch lebte, saß wie Marlene Dietrich mit entblößten Beinen auf einem Faß. Meinem Bruder, der eine langweilige Ziege zur Frau genommen hatte, gab ich eine Nonne zur Seite, damit er das Gefühl bekam, mit der eigenen trockenen Zwiebel noch gut bedient zu sein. Mich selbst ließ ich hochschwanger wie einen Kugelblitz durch die erstaunte Menge sausen.
Aber wer war der Märchenprinz? Immer häufiger träumte ich, es sei Levin.
Frau Hirte hatte meine Schilderung des Klassentreffens mit beifälligen, wenn auch schläfrigen Lauten quittiert. Zwischendurch hatte sie vielleicht ein wenig geträumt, wer wußte das schon. Mitten in der Nacht griff sie manchmal plötzlich zu ihrer Flasche ›Miss Dior‹ und sprengte sich ein. Einmal sah ich auch, denn völlig dunkel war es ja nie, daß sie sich die Stöpsel ihres Walkmans in die Ohren stopfte. Wahrscheinlich hörte sie wieder einmal ihre geliebten Brahmslieder, die sie mir - ebenso wie das Parfüm gelegentlich wie Pralinen anbot. Nun, es ist ganz gut, daß sie nicht alles hört, im Grunde erzähle ich Dinge, die keinen etwas angehen.
3
Manche Frauen müssen zwecks Thrombose-Prophylaxe unbarmherzig zum Aufstehen gezwungen werden, nicht so Frau Hirte. Energisch marschiert sie auf dem Flur herum und schleppt dabei einiges mit an unappetitlichem medizinischem Gepäck in Form von Schläuchen und Flaschen. Inzwischen weiß ich, daß sie schamhaft ist, und respektiere ihre diesbezüglichen Wünsche. Es ist mir auf jeden Fall lieber als umgekehrt. Für Exhibitionistinnen habe ich absolut nichts übrig. Übrigens trägt sie auch nachts brav diese scheußlichen weißen Kompressionsstrümpfe, die ich mir sofort herunterreißen würde.
Sie erzählt wenig von sich. Als meine ehemalige Chefin mich besuchte, wurde sie allerdings ein wenig wehmütig. Sie habe ihren Chef früher weit über das normale Maß entlastet, und was sei der Dank? Kaum wurde sie erwerbsunfähig, da hatte man sie schon vergessen.
Bisher mochte ich solche Vertraulichkeiten zwischen Frauen nicht besonders; meine Freundin Dorit beneide ich zwar, und sie scheint das mit einer gewissen Lust zu fördern. Aber jetzt verspürte ich zum ersten Mal im Leben Mitleid mit einer fremden Frau, ein Gefühl, das ich immer nur Männern vorbehalten hatte.
Ich wollte Frau Hirte mit meinen Mitternachtsmärchen ihre Sorgen vertreiben. Als nächstes sollte sie hören, wie Levin und ich zusammenzogen.
Zu ungewohnter Stunde kam er in die Apotheke, obgleich er wußte, daß ich nicht gern vor den Augen meiner Chefin im Hinterzimmer
Weitere Kostenlose Bücher