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Die Apothekerin

Die Apothekerin

Titel: Die Apothekerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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und schwieg.
Hermann Graber schien es aber nicht zu bemerken, weil er
gerade auf der Wäscheleine im Garten einen schwarzen
Büstenhalter entdeckt hatte.
    Auf der Heimfahrt wollte ich von Levin Näheres über den Unfall wissen. Verärgert erzählte er.
    »Wahrscheinlich war ich übermüdet und bin kurz eingenickt, ich kam nämlich aus Spanien und bin die Nacht durchgebrettert…«
    Ich fand das unverantwortlich. »Gab es Verletzte?« »Nicht direkt. Ein LKW fuhr auf den Mercedes auf und sein Anhänger kippte um. Was meinst du, was er geladen hatte? Marmelade! Kannst du dir die Autobahn vorstellen?«
»Ich habe dich nach Verletzten gefragt, nicht nach Marmelade.«
»Genaugenommen war es Pflaumenmus.«
Wir schwiegen eine Weile.
Levin mußte den Alten gelegentlich im Schneckentempo irgendwohin fahren, durfte den neuen Mercedes aber nie mehr für sich allein beanspruchen.
»Womit hat dein Opa sein Vermögen gemacht?«
»Er war Elektriker in einer kleinen Fabrik und erfand ein ominöses Zwischenprodukt, das er dann in einem eigenen Betrieb herstellte. Er war schon als junger Mann reich geworden, später dümpelte das Unternehmen dann vor sich hin. Als mein Vater starb, hat er den Laden verkauft.«
Ich wußte, daß Levins Vater Organist und offensichtlich ohne Interesse am Fabrikantenberuf gewesen war.
»Dein Großvater hat anscheinend pädagogische Absichten«, sagte ich nicht ganz ohne Schadenfreude.
Levin verneinte das. »Er ist ein Sadist und läßt mich radfahren! Jeder andere würde seinem Enkel gelegentlich einen Tausender in die Tasche stecken.«
Wir fuhren auf der Autobahn, obgleich ich lieber die romantische Bergstraße über Weinheim gewählt hätte. Wie so oft fiel mir auf, daß Levin zu schnell fuhr - aber diesmal geriet ich in Panik.
»Ein bißchen langsamer«, bat ich, »wir haben doch keine Eile. Im übrigen finde ich es anständig von dir, daß du deinen Opa auch ohne den Tausender besuchst.«
Levin drosselte das Tempo keinesfalls. »Aus Anstand besuche ich ihn bestimmt nicht«, sagte er. »Von mir aus könnte er lieber heute als morgen abkratzen, aber er droht oft mit einer Testamentsänderung.«
Ich konnte mir die Bemerkung nicht verkneifen: »In letzter Zeit bis du nicht allzuoft Fahrrad gefahren. Du kannst also ohne Ungeduld dein Erbe abwarten.«
»Bis ich alt und grau bin. Der Alte klebt am Leben, der könnte hundert werden!«
Ich lachte. »Dann laß ihn doch! Vielleicht hast du dieselben Gene und wirst genauso alt. Was willst du im übrigen mit der Erbschaft anfangen?«
Levin geriet noch mehr in Fahrt: »Einen Rennwagen kaufen, reisen, an der Auto-Rallye Paris-Dakar teilnehmen, auf jeden Fall brauche ich dann keine faulen Zähne zu ziehen.«
Ich verstummte. In seinen Plänen waren weder der Arztberuf noch ich vorgesehen.
    Am nächsten Abend ließ ich Levins Doktorarbeit demonstrativ auf dem Küchentisch liegen und beschäftigte mich nach Wochen wieder mit meiner eigenen. Ich war eine dumme Gans; so wie es jetzt lief, würde ich weder den Doktor machen und eine wissenschaftliche Tätigkeit aufnehmen noch heiraten und Kinder kriegen.
    Als ich dann Dorit anrief, schämte ich mich in Grund und Boden, aber ich beichtete ihr mein Engagement für Levins Karriere.
    »Das wundert mich überhaupt nicht«, erklärte sie, »du hättest nicht mit ihm zusammenziehen sollen. Liebst du ihn denn wirklich?«
    »Ich glaube schon«, sagte ich.
    Und so war es. Trotz aller Bedenken, die mein Hirn produzierte, trotz aller Warnsignale, die ich fast körperlich spürte - ich liebte ihn. Wenn er, wie ein Embryo zusammengekauert, neben mir schlief, dann hätte ich vor Zärtlichkeit weinen können. Wenn er hungrig aß und sich über mein gutes Essen freute, wenn er sich an den ApothekenPröbchen begeisterte, wenn er in meiner Gegenwart lustig wurde - dann war alles, alles gut. Es gab Stunden voller Glück, wenn wir mit Tamerlan auf dem Sofa saßen, ihn gemeinsam streichelten und dabei im Fernsehen James Bonds Autojagden verfolgten. Aber es gab auch einsame Abende, an denen ich nicht wußte, wo er steckte. Natürlich hatte jeder von uns die Freiheit, zu kommen und zu gehen, wie er wollte. Ich war zu stolz, ihn auszufragen, vielleicht auch zu ängstlich, ihn zu verlieren.
    Als ich wieder einmal in leicht depressiver Verfassung vor dem Fernseher einschlief, klingelte mich das Telefon wach. Levin! dachte ich, allmählich nimmst du Manieren an.
    »Hella Moormann«, meldete ich mich.
    »Entschuldigung, isch hab’ misch falsch

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