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Die Apothekerin

Die Apothekerin

Titel: Die Apothekerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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verwählt«, sagte eine aufgeregte Frauenstimme.
Enttäuscht legte ich auf. Nach einer Minute erneutes Klingeln. Es war dieselbe junge Stimme. »Entschuldigung, is de Lävin do? Sin Sie sei Freindin?«
»Mit wem spreche ich eigentlich?« sagte ich kühl, obgleich mir die Stimme bekannt vorkam.
»Isch bin’s, die Margot«, erfuhr ich. Es war die neue und unerfahrene Hausangestellte von Levins Großvater. Hermann Graber habe einen Herzanfall erlitten und liege im Krankenhaus. Man habe ihr gesagt, sie solle umgehend die nächsten Angehörigen benachrichtigen, die Sache sei ernst.
Nun konnte ich erst recht nicht schlafen. Als Levin kurz nach Mitternacht - ohne zu schleichen - die Wohnung betrat, sah er mir gleich an, daß mir etwas auf der Seele lag.
»Hat der Arzt angerufen?«
»Nein, seine Haushaltshilfe, Frau… Ich weiß nicht einmal, wie das Mädchen heißt. Sie hat sich mit Margot gemeldet.«
»Wir nennen sie nur so«, sagte Levin.
Natürlich hatte ich nicht erwartet, daß er in Tränen ausbrach, aber auch nicht soviel offensichtliche Freude. Es war zu spät, noch einmal anzurufen, Levin wollte am nächsten Morgen selbst hinfahren. »Wichtiger als die Uni«, meinte er.
Wir schliefen beide wenig. Levin lag nebenan in seinem Bett, aber ich hörte dauernd, daß er aufstand, in die Küche oder ins Bad ging, Radio oder Fernseher an- und wieder ausschaltete. Auch ich malte mir aus, demnächst in der schönen Villa zu wohnen. Und für Kinder würde genug Platz dasein.
    »Alles bestens«, erklärte Levin am nächsten Tag nach seiner Rückkehr, »der Opa war gerührt, daß ich gleich zur Stelle war, aber es geht ihm miserabel. Der Oberarzt sagte, es könne ganz schnell zu Ende gehen, die Pumpe tut’s nicht mehr. Man müßte eine Bypass-Operation machen, aber bei einem Achtzigjährigen kommt das nicht in Frage.«
    Dann mußte ich mit vor die Tür, und dort stand ein Porsche.
    »Ich kann ihn günstig haben, ist noch ziemlich neu«, sagte er hingerissen.
»Brauchst du ihn denn?« fragte ich.
Er sah mich an, als hätte ich nicht alle Tassen im Schrank.
Ich stieg zur Probefahrt ein, bei der mir Hören und Sehen verging, und wurde dabei genötigt, einen weiteren Bankkredit aufzunehmen. Einem Studenten leihe die Bank ja gemeinerweise nichts.
Ich blieb streng.
Demnächst schwimme er in Geld, argumentierte Levin, aber dieses Bijou gehe ihm womöglich sonst vorher noch durch die Lappen.
Derart auf den Tod eines Angehörigen zu spekulieren empfand ich als höchst ungehörig.
Das große Kind, das sein Riesenspielzeug auf der Stelle haben wollte, versuchte es jetzt mit Schmeicheln. Er pries meine bewährte Großzügigkeit und stellte mir eine Überraschung in Aussicht.
Fast hätte ich »Hochzeit?« gefragt, aber ich schluckte es hinunter. Es wäre zu kränkend gewesen, wenn er mich ungläubig und verblüfft angesehen hätte. Also stellte ich mich dumm. »Eine Reise?« fragte ich.
Levin schüttelte den Kopf. »Du kommst nicht darauf. Du wirst Architektin und Einrichterin beim Umbau der Viernheimer Villa.«
Ich sagte kühl und ohne sichtbare Gemütsbewegung: »Glaubst du, ich sei besonders talentiert dafür?«
Levin lachte. »Jede Frau richtet sich gerne ihr Heim ein.«
Völlig überwältigt umarmte ich ihn. Dann ging ich auf die Bank und beantragte einen Kredit, den ich zu ungünstigen Bedingungen auch erhielt.
Levin war selig und schien von früh bis spät mit dem Porsche unterwegs zu sein; zum Glück hatten die Semesterferien mittlerweile begonnen.
Kaum war mein Dienst zu Ende, wurde ich abgeholt, und wir sausten nach Frankfurt oder Stuttgart, am Wochenende ans Mittelmeer und an die Nordsee. Mir kamen Zweifel, ob ich ihm etwas Gutes getan hatte. Wenn er nun wie James Dean verunglückte und mir nur ein Schuldenberg als Erinnerung an meinen einzigen vorzeigbaren Heiratskandidaten blieb?
    Als ich zwei Wochen später am Bett von Hermann Graber saß, hatte ich nicht das Gefühl, einen Todkranken zu besuchen. Der Alte war munter und machte Pläne.
    »Wenn wir Glück haben«, sagte er, »werde ich nächste Woche entlassen. Die Ärzte wollen mich beschwatzen, daß ich eine Pflegerin einstelle, aber ich bin nicht gewillt, unnötig Geld auszugeben. Margot ist zwar nicht die Klügste, aber sie kann ruhig ein bißchen springen.«
    Nach meinem Besuch im Krankenhaus fuhren wir in die Villa, Levin mähte den Rasen, ich sprach mit Margot.
    »Herr Graber kommt wahrscheinlich bald zurück«, sagte ich, »würden Sie sich zutrauen, ihn notfalls auch zu

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