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Die Arbeit der Nacht

Die Arbeit der Nacht

Titel: Die Arbeit der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Glavinic
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haben. Aber er stieß auf nichts Verdächtiges. Alles schien zu sein, wie er es verlassen hatte. Die Fenster waren geschlossen. Woher der Luftzug gekommen war, konnte er sich nicht erklären.
    Vielleicht hatte er sich beides eingebildet. Den Luftzug und die Stellung der Verbindungstür.
    Er holte den Rekorder, legte eine Leerkassette ein. Die Uhrzeit notierend, drückte er die Aufnahmetaste. Auf Zehenspitzen verließ er die Wohnung.
    Die Nachbarn auf der Etage hatten eigene Rekorder, so daß er den zweiten nicht verwenden mußte. In sieben weiteren Wohnungen steckte er eine Kassette in einen Rekorder, schaltete die Aufnahme ein und schrieb sich die Uhrzeit sowie die Türnummer in ein Notizheft. Die Kassetten hatten eine Laufzeit von 120 Minuten.
    Zu Hause verschloß er die Tür. Er spulte das Videoband zurück. Der Ton blieb abgedreht. Den verbliebenen Rekorder machte er bereit, den am Fenster summenden und krachenden Weltempfänger steckte er ab. Mit einem Glas Wasser sowie Notizheft und Stift legte er sich auf die Couch. Teilnahmslos verfolgte er, wie die Berliner stumm der Siegessäule entgegentanzten.
    Als ihm die Lider schwer wurden, blickte er auf die Uhr. Eine Minute nach halb eins. Er schrieb es auf, dann drückte er die Record-Taste.
    Wieder war der Himmel wolkenlos.
    Die Videokameras und alles Zubehör lud Jonas in den Wagen. Er hatte die Fenster des Spider über Nacht offengelassen, so war die Luft im Inneren nicht so unerträglich wie sonst.
    Während der Fahrt versuchte er, jemanden telefonisch zu erreichen. Marie in England, Martina zu Hause und im Büro, die Polizei, den ORF, seinen Vater. Er stellte sich die Wohnung vor, in der es gerade läutete.
    Das Telefon seines Vaters stand im Flur auf einem kleinen Kästchen, über dem ein Spiegel hing, wodurch man sich beim Telefonieren beobachtet fühlte. In diesem schummrigen Flur, in dem jetzt, in dieser Sekunde, das Telefon läutete, war es eine Spur kühler als in der übrigen Wohnung. In diesem Flur standen die abgetragenen Schuhe seines Vaters. Über der Garderobe hing seine altmodische Lodenjacke, die noch die Mutter an den Ellbogen geflickt hatte. In diesem Flur roch es nach Metall und Plastik. Gerade jetzt.
    Aber läutete es wirklich, wenn niemand da war, der es hörte?
    Vor der Millennium-City hielt er nicht an, sondern fuhr direkt in das Gebäude ein. Im Schrittempo ging es vorbei an den Boutiquen, dem Buchladen, dem Juwelier, dem Drogeriemarkt, den Cafés und Restaurants. Wie an einem normalen Arbeitstag war alles offen. Er verzichtete darauf zu hupen.
    Bei den Imbißständen und Snackbars fiel ihm auf, wie gründlich zusammengeräumt sie waren. Kein altes Brot lag herum, keine Früchte verschimmelten, alles war geputzt und geordnet. Die meisten Lokale in der Stadt sahen so aus.
    Vor dem Millennium-Tower, den die Hallen der City umschmiegten, mußte er aussteigen, da es in der unteren Etage keinen öffentlichen Zugang gab. Bepackt mit dem Gewehr, dem Brecheisen und der Kamera mit ihrem Zubehör, fuhr er auf der Rolltreppe nach oben. Einer der Lifte brachte ihn in den zwanzigsten Stock des Turms, dort stieg er um. Die Fahrt nach ganz oben dauerte eine Minute.
    Die Büros, die im obersten Stock untergebracht waren, standen offen. Er wählte eines, in dem ein Panoramafenster den besten Ausblick auf die Stadt bot. Er lud seine Last ab und versperrte die Tür.
    Als er knapp vor der Fensterscheibe stand, verschlug ihm der Ausblick den Atem. Vor ihm ging es zweihundert Meter abwärts. Die geparkten Autos auf der Straße waren winzig, die Mülleimer und Zeitungsständer daneben als solche kaum noch zu erkennen.
    Das Stativ hatte er umsonst heraufgetragen, ein ans Fenster gerückter Tisch tat es auch. Er stapelte einige Bücher darauf. Als er die Unterlage für stabil hielt, legte er eine Leerkassette ein. Die Kamera plazierte er so auf den Büchern, daß ihr Objektiv auf die in der Sonne glänzenden Dächer der Stadt gerichtet war. Mit einem Blick auf den kleinen Bildschirm überprüfte er, ob alles paßte. Ort, Datum, Uhrzeit schrieb er in sein Notizheft. Dann startete er die Aufnahme.
    Ein Stativ benötigte er für die zweite Kamera. Er stellte sie am Eingang des Stephansdoms auf, so daß sie dem Haas-Haus zugewandt war, vor dem früher Akrobaten den Touristen ihre Kunststücke vorgeführt hatten. Solchen Spektakeln hatte er nichts abgewinnen können. In der Furcht, gar von einem der Künstler angespielt oder angesungen zu werden, war er mit gesenktem

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