Die Arbeit der Nacht
positionierte er so, daß sie auf das von ihm angehäufte Gerümpel auf der Bühne gerichtet war. Jene auf der Reichsbrücke blickte auf die Donau hinab. In Favoriten filmte er eine Straßenkreuzung. Mit der letzten Kamera fuhr er in die Hollandstraße.
Nachdem er etwas gegessen hatte, arbeitete er weiter. Das Schlafzimmer war an der Reihe. Wieder beförderte er zunächst kleineres Mobiliar aus dem Fenster, um Platz zu schaffen. Er entfernte Blumenständer, Stühle, Pflanzen, warf den Inhalt von Vitrinen in Müllsäcke. Als das Bett in Stücke gehackt vor ihm lag, fand er, es sei für diesen Tag genug. Die Kamera legte er auf den Boden. Er notierte die Daten, dann drückte er die Aufnahmetaste.
Zu Hause sammelte er die Audiokassetten ein.
Mit einem Glas Saft und einer Tüte Kartoffelchips setzte er sich auf die Couch. Den Kassettenrekorder hatte er in Griffweite auf dem Glastisch abgestellt.
Die erste Kassette stammte aus der leeren Nachbarwohnung. Eine Stunde lauschte er ohne Unterbrechung der Stille, die in den verlassenen Räumen nebenan geherrscht hatte. Zuweilen meinte er, etwas zu hören. Doch es handelte sich wahrscheinlich um Geräusche, die er selbst in den anderen Wohnungen verursacht hatte. Oder schlicht um Einbildung.
Als er aus dem Fenster schaute, bemerkte er, daß zum erstenmal seit zwei Wochen Gewitterwolken aufgezogen waren. Er beschloß, mit der nächsten Kassette zu warten und statt dessen die im Freien postierten Kameras in Sicherheit zu bringen.
Während er durch die Stadt fuhr und von Zeit zu Zeit einen nervösen Blick in den sich immer mehr verdunkelnden Himmel richtete, erinnerte er sich, wie er als Kind mit einer Mischung aus Aberglauben und Abenteuerlust spiritistische Experimente unternommen hatte, die von einer halbverrückten Nachbarin inspiriert gewesen waren.
Die alte Frau Bender, zu der er geschickt wurde, wenn Mutter etwas erledigen mußte, erzählte ihm häufig von ihren Erlebnissen mit »dem Jenseits« und »der anderen Seite«. Vom Tischrücken, bei dem das Holztischchen mit ihr und ihren Freundinnen durch die ganze Wohnung gesaust sei, ohne daß sie die Finger von der Platte zu lösen vermochten, oder von den Klopfgeistern, von denen ihre Familie eineinhalb Jahre heimgesucht worden war, weil sie und ihre Freundinnen über deren Existenz gespottet hatten. Nachts seien versperrte Schranktüren knarrend aufgegangen, in der Wand habe es geklopft, am Fenster sei ein Schaben zu hören gewesen. Nicht alles zur gleichen Zeit. Einmal dieses Phänomen, einmal jenes.
Mit besonderer Leidenschaft brachte sie die Unterhaltung auf das Jenseits, über dessen Beschaffenheit medial begabte Bekannte ihr berichtet hatten.
I CH STEHE HIER MIT EINER R OSE IN DER H AND. G ERADE STACH ICH MICH AN EINEM D ORN, habe ihre verstorbene Mutter durch den Mund des Mediums gesagt.
W IR LEBEN IN EINEM SCHÖNEN H AUS MIT EINEM PRÄCHTIGEN G ARTEN, habe eine tote Freundin ausgerichtet.
E S IST ALLES W EITE, UND ES GIBT VIELE R ÄUME, so ein Onkel. I M I NNEN NOCH EIN A USSEN, UND IM O BEN FINDET MAN EIN U NTEN .
Er halte einen Hut in Händen und blicke bekümmert, schilderte das Medium. Ob es mit dem Hut eine Bewandtnis habe.
Und dann hatte Frau Bender wohl hundertmal erzählt, daß dieser Hut auf seiner Leiche gelegen habe. Woran er gestorben war, wisse niemand. Er selbst habe darüber keine Auskunft geben wollen. Das verblüffendste daran sei gewesen, daß niemand außer ihr und den übrigen Verwandten von dem Hut gewußt hätte.
Bereitwillig war Jonas Mutters Aufforderung gefolgt, eine Stunde bei Frau Bender zu spielen, obwohl er sich danach ein paar Tage noch mehr vor den Winkeln im Haus gefürchtet hatte. Viel Interessantes und Abgründiges hatte er dort gehört. So die Warnung, wenn man nachts einen Kassettenrekorder laufen lasse, speichere das Band die Stimmen Toter. Oder daß Verstorbene ab und zu für den Bruchteil einer Sekunde im Raum sichtbar würden. Oft denke man sich, da war doch gerade etwas. Ein Schatten, eine Bewegung. Man sei gut beraten, nicht auszuschließen, daß man einen Geist gesehen hatte. Es geschehe nicht selten.
Außerdem hatte sie ihm versprochen, ihm nach ihrem Tod zu erscheinen, um zu berichten, wie es im Jenseits sei. Er solle auch auf kleine Zeichen achten. Sie wisse nicht, ob sie die Möglichkeit hätte, ihn als Gestalt zu besuchen.
Sie war 1989 gestorben.
Von ihr gehört hatte er seither nicht.
In der Ferne rumpelte es heftig. Er trat fest aufs Gas.
Nach einigem
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