Die Arbeit der Nacht
aufgerieben. Um die rechte Seite zu entlasten, trug er den Gurt seit dem Vortag auf der linken Schulter, heute bei der Arbeit hatte er die Stelle jedoch strapaziert.
Er zog die feuchte Wäsche aus der Maschine. Während er Stück um Stück auf den Ständer klemmte, fiel sein Blick zuweilen auf den Kassettenrekorder. Er sah schnell weg.
Als keine Arbeit mehr zu finden war und er bereits von einem Fuß auf den anderen trat, fiel ihm der neue Anrufbeantworter ein. Die Bedienungsanleitung war kurz und verständlich. Er konnte gleich den Ansagetext aufnehmen.
»Guten Tag! Wer immer dies hört: Kommen Sie her! Meine Adresse lautet... Meine Mobiltelefonnummer... Wenn Sie nicht kommen können, sagen Sie mir, wo ich Sie finde.«
Vom Handy aus wählte er die Festnetznummer. Das Telefon läutete. Er ließ es klingeln. Nach dem viertenmal schaltete sich der Anrufbeantworter ein. Das Handy am Ohr, hörte er in Stereo:
»Guten Tag! Wer immer dies hört: Kommen Sie her!«
Schon da, dachte er.
Mit einem Glas von Maries Eierlikör sah er sich auf der Couch die Love Parade an. Durch die halbgeschlossenen Jalousien blitzten die letzten Sonnenstrahlen des Tages.
Er wußte, wenn er sich die Kassette noch einmal anhören wollte, sollte er es jetzt tun.
Er spulte zurück, vor, wieder zurück. Durch Zufall traf er genau die Stelle, an der das erste Geräusch ertönte. Ein dumpfes Rascheln.
Minuten darauf vernahm er ein Murmeln.
Es war seine eigene Stimme. Es mußte seine Stimme sein. Welche sonst? Doch er erkannte sie nicht. Fremd, hohl drang ein kurzes »Hepp« aus den Boxen. Danach wieder Stille. Minuten später hörte er ein weiteres Mal Murmeln. Diesmal dauerte es länger. Es klang wie ein zusammenhängender Satz.
Er ließ die Kassette zu Ende laufen. Mit geschlossenen Augen lauschte er. Es kam kein Ton mehr.
War es seine Stimme?
Und wenn, was redete er da?
Es hatte abgekühlt. Die Sonne war hinter dichten grauen Wolken verborgen. Eine kräftige Brise wehte, für die er nicht undankbar war. Jedes Jahr das gleiche: Er freute sich monatelang auf den Sommer, und als es endlich heiß wurde, hatte er davon nach ein paar Tagen genug. Ein Sonnenanbeter war er nie gewesen. Er konnte nicht nachvollziehen, wieso man sich stundenlang grillen ließ.
Im Supermarkt legte er mechanisch Lebensmittel in den Einkaufswagen. Er versuchte sich einen Traum der vergangenen Nacht in Erinnerung zu rufen.
Von einem bösartigen kleinen Jungen hatte er geträumt. Dieser Junge hatte südländisch ausgesehen, war angezogen gewesen wie in den Dreißigerjahren und hatte mit der Stimme eines Erwachsenen gesprochen. Immer wieder war er bedrohlich vor Jonas’ Gesicht aufgetaucht. Aus dem Nichts. Feindseligkeit ging von ihm aus.
Sosehr sich Jonas bemühte, er konnte nur das Gefühl, nicht aber die Handlung einfangen. Erkannt hatte er den Jungen nicht.
Früher hatte er seinen Träumen keine Bedeutung beigemessen. Nun lagen neben seinem Bett Papier und Stift, damit er sich Notizen machen konnte, wenn er nachts hochschrak. An diesem Morgen hatte er nichts gefunden. Einzige Ausbeute bis jetzt war ein Satz aus der vorvergangenen Nacht. Den aber hatte er nicht lesen können.
An der Tür warf er noch einen Blick zurück. Alles war unverändert. Die Kühlaggregate der Gefriertruhen und des Molkereischranks summten. Mehrere Gänge lagen in heilloser Unordnung. Da und dort lugte eine Milchflasche unter einem Regal hervor. Die Luft war frisch. Frischer als in anderen Läden.
Nachdem er zu Hause die Tiefkühlkost im Dreisternefach und die Konserven im Schrank verstaut hatte, schloß er eine der Videokameras an. Ohne zu achten, um welches es sich handelte, startete er das Band.
Das Bild zeigte die Bühne des Burgtheaters. Zu hören war das Zippen eines Reißverschlusses. Schritte wurden leiser. Dumpf fiel eine Tür ins Schloß.
Kein Laut.
Ein Haufen Gerümpel aus der Requisite. Ein Pappsoldat, an dessen Revers eine Visitenkarte haftete. Von rechts oben beleuchtete ein Scheinwerfer die Szene.
Jonas wandte den Blick nicht vom Bildschirm ab. Er erwog, den Schnellvorlauf zu aktivieren. Aus Angst, etwas zu versäumen, irgendeine wichtige Kleinigkeit, ließ er es sein.
Er wurde zappelig.
Er holte sich Wasser, rieb sich die Füße.
Eine Stunde starrte er schon auf den Schirm, beobachtete die Bewegungslosigkeit toter Objekte, da offenbarte sich ihm die Erkenntnis, daß er in dieser Situation schon einmal gewesen war. Schon einmal hatte er stundenlang unverwandt
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