Die Arbeit der Nacht
er den Lkw wieder auf den Parkplatz, der mit Ästen und Wagentrümmern übersät war. Er kurbelte das Fenster herunter und streckte den Arm hinaus. Mit dem Zeigefinger auf einen unsichtbaren Passanten deutend, schrie er im Vorbeifahren in den Regen einige wirre Sätze hinaus, deren Inhalt er selbst nicht erfaßte.
Das Marriott in Salzburg wiederzufinden bereitete ihm keine Schwierigkeiten, auch weil es zu regnen aufgehört hatte. Als er vor dem Hotel ausstieg, erschrak er und frohlockte zugleich.
Die Musik war nicht mehr zu hören.
Die CD mit Sinfonien von Mozart, die Menschen hatte anziehen sollen, war offenbar abgeschaltet worden. Oder hatte sich selbst abgeschaltet. Oder es hatte Kurzschluß gegeben.
War jemand hiergewesen? War jemand hier?
Gleich würde er es wissen.
Gleich.
Das Gewehr schußbereit, betrat er die Lobby. Sowohl der Zettel an der Tür als auch jener an der Rezeption waren verschwunden. Dafür stand in der Mitte des Ganges eine Kamera. Das Objektiv war auf die Eingangstür gerichtet.
»Wer ist das!« schrie er.
Er feuerte auf einen Lampenschirm, Glas explodierte. Das Echo hallte einige Sekunden nach. Ohne zu wissen, warum, lief er auf die Straße. Er schaute sich um. Niemand war zu sehen. Er holte tief Luft.
Hinter Mauern und Säulen Deckung nehmend, wagte er sich Meter für Meter wieder hinein ins Hotel. Er mußte unentwegt schlucken.
Er gelangte bis zur Kamera. Der Gang dahinter, der zum Restaurant führte, war unbeleuchtet. Jonas riß das Gewehr hoch, um ins Dunkel zu schießen. Er versuchte durchzuladen, doch etwas klemmte. Er schleuderte das Gewehr von sich. Das verschwundene Messer fiel ihm ein.
»Was ist los, na? Was ist los? Trau dich doch!«
Er schrie in die Dunkelheit, und alles war still ringsum.
»Warte! Gleich bin ich zurück!«
Er packte die Kamera und rannte hinaus. Samt Stativ warf er sie auf die Koje, verriegelte die Tür und fuhr los.
Er hielt an der nächsten Raststation. Es gab einen Fernseher. Er betrachtete die Kamera. Es war das Modell, das er benützte.
Aus dem Wagen holte er die Anschlußkabel. Nachdem er Kamera und Fernseher miteinander verbunden hatte, griff er ins Getränkeregal. Die Zahnschmerzen kamen wieder.
Er startete das Band.
Ein Mann auf einem Bahnsteig, der die blaue Uniform der Österreichischen Bundesbahnen trug. Eine Trillerpfeife im Mund, winkte er mit dem Signalschild auf und nieder, als gebe er einem Lokführer Zeichen.
Es war Nacht. Auf dem Gleis stand ein Zug. Der Uniformierte blies gellend in seine Pfeife. Er machte Handbewegungen, die nicht zu deuten waren. Als würde sich der Zug in Bewegung setzen, lief der Mann ein paar Schritte und sprang dann auf, wobei es so aussah, als mühte er sich, das Gleichgewicht zu wahren. Er verschwand im Waggon. So perfekt war die Inszenierung, daß Jonas für einen Moment das Gefühl hatte, den Zug fahren zu sehen.
Ihn schwindelte. Er sah genau hin. Der Zug stand.
Auf einem blauen Schild im Hintergrund las Jonas die Aufschrift HALLEIN.
Der Uniformierte kehrte nicht zurück. Wenige Minuten später, ohne daß Schritte zu hören gewesen wären, endete das Band.
Jonas steckte die Kassette ein. Kamera und Kabel verstaute er im Wagen. Er tat so, als habe er nichts Ungewöhnliches erlebt. Ein Lied pfeifend, die Hände in den Taschen, schlenderte er über den Parkplatz zur Tankstelle und zurück. Unauffällig blickte er sich um. Niemand schien ihn zu beobachten. Niemand schien in seiner Nähe zu sein. Nur der Wind war um ihn.
Ohne Gewehr fühlte er sich schutzlos. Als er in Hallein am Bahnhofsgebäude vorbeiging und durch einen Seitenzugang auf den Bahnsteig trat, tat er so, als schmerze ihn das Bein. Er humpelte und griff sich immer wieder ans Knie.
»Ach ja, ach weh! Na so, so, so! Und wie!«
Da war nichts. Nichts Spektakuläres. Ein Zug stand da, der laut Anzeige nach Bischofshofen fahren sollte. Jonas stieg ein. Hustend und rufend durchsuchte er Waggon um Waggon, Abteil um Abteil. Es roch nach kaltem Rauch und Feuchtigkeit.
Am Zugende sprang er wieder auf den Bahnsteig. Er war so verwirrt, daß er zu humpeln vergaß.
Die automatische Schiebetür zur Wartehalle schnarrte zur Seite. Er prallte zurück. Bewegungslos starrte er in die Halle. Die Tür ging zu. Er machte einen Schritt nach vorne, sie öffnete sich wieder.
Von der Hallendecke baumelten elf an Stricke geknüpfte Wintermäntel. Sie sahen aus wie Gehenkte. Nur die Körper fehlten.
Ein zwölfter lag auf dem Boden. Der Strick war
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