Die Arbeit der Nacht
geschlafen, hatte er ferngesehen. So weit lag das zurück, doch für ihn hatte all das noch immer Gültigkeit.
Die Haustür war nicht abgesperrt. Es hätte ihn auch verwundert. Die Menschen dieser Gegend verriegelten niemals ihre Türen, weil sie nicht für argwöhnisch gehalten werden wollten. Auch seine Eltern hatten sich daran gehalten. Was ihm als Kind manch unruhige Nacht beschert hatte.
Im Erdgeschoß gab es zwei Zimmer, die Abstellkammer und den Tischtennisraum. Er warf einen Blick hinein. Noch immer stand der Tisch da. Sogar den Ausblick aus dem Fenster erkannte Jonas.
Über eine gewundene, morsch knarrende Treppe ging es hinauf in den ersten Stock. Hier stand er vor fünf Türen. Drei führten zu Schlafzimmern, die vierte zur Wohnküche, die fünfte ins Bad. Er betrat das erste Schlafzimmer. Das Bett war zerwühlt. Auf dem Tisch stand ein unausgeräumter Koffer. Er enthielt Kleidung, Waschzeug, Bücher. Es roch abgestanden. Jonas öffnete das Fenster. Er blickte auf die Straße, über die er gekommen war.
Im zweiten Schlafzimmer, von dem aus man zu den Löhnebergers hinübersah, war das Bett bezogen und unberührt. Auf einem wackeligen Nachttisch tickte ein Wecker. Erschrocken griff Jonas danach. Aber es war nur ein batteriebetriebenes Modell.
Er sah sich noch einmal im Zimmer um. Das rot-weiß karierte Bettzeug. Die barocken Holzvertäfelungen. Das Kruzifix im Winkel. Er selbst hatte hier nie geschlafen. Meist hatten Onkel Reinhard und Tante Lena in diesem Zimmer übernachtet.
Das dritte Schlafzimmer war das größte. Die Jalousien zum Balkon waren heruntergelassen. Ein vertrautes Rumpeln ertönte, als er sie hochzog. Er betrachtete die Einrichtung. Es erinnerte an einen Krankensaal. Je drei Einzelbetten standen einander gegenüber. An den Fußenden klemmte ein Gitter, wie um Krankenblätter überzuhängen. Mit den Fingernägeln klopfte er gegen das Metall. In diesem Zimmer hatte er einige Male zusammen mit den Eltern gewohnt.
Er legte die Hände auf die Brüstung des Balkons. Das Holz unter seinen Fingern war warm. An manchen Stellen klebte noch verkrusteter Vogelkot, den der Regen nicht hatte wegspülen können.
Unter ihm begann der Wald. Am Horizont waren Berge und Hügel zu sehen, Wälder und Almen. An diesen Ausblick erinnerte er sich gut. Hier war sein Vater im Liegestuhl gesessen mit seinem Kreuzworträtsel, und hier hatte sich Jonas vor der Mutter versteckt, die ihm irgend etwas im Garten zeigen wollte. Erst hatten sie zusammengehalten, doch als ihre Stimme immer schriller wurde, hatte der Vater ihn hinuntergeschickt.
Von der Wohnküche aus sah er in den Garten. Die Johannisbeersträucher waren noch da. Die Weinlaube mit den Bänken und dem derben Holztisch, an dem sie Doppelkopf gespielt hatten, der Zaun, die Obstbäume, der aufgelassene Hasenstall, alles war noch da. Das Gras gehörte gemäht, der Zaun ausgebessert. Sonst befand sich der Garten in einem annehmbaren Zustand.
Bei diesem Anblick kehrte ihm eine Erinnerung zurück. Von diesem Garten hatte er vor einigen Jahren geträumt. Hier zwischen den Apfelbäumen sah er einen aufrecht gehenden, über zwei Meter großen Dachs tanzen. Mit seltsam rhythmischen Bewegungen sprang das Vieh, dessen Gesicht dem des Großvaters Petz aus dem Kinderprogramm ähnelte, durch den Garten. Es war mehr ein Auf und Ab als ein Hin und Her. Nach einer Weile tanzte dann Jonas selbst mit ihm. Er fürchtete sich vor dem mächtigen Vieh, das doppelt so breit war wie er selbst, doch es benahm sich ihm gegenüber nicht feindselig. Sie hatten gemeinsam getanzt, und er hatte sich wohl gefühlt.
Das Gepäck trug er in das Zimmer, dessen Bett benützt worden war. Er zog die Überzüge und das Laken ab. Aus dem großen Schlafzimmer brachte er frisches Bettzeug. Als er fertig war, mußte er Licht anschalten. Seine Bewegungen wurden fahrig.
Nachdem er sich vergewissert hatte, daß alles Wichtige im Ferienhaus war, notierte er den Kilometerstand des Lkws und sperrte ab. An der alten Kegelbahn vorbei lief er zum Eingang des Gasthauses. Auf dem Parkplatz stand ein klappriger Fiat. Er mußte den Löhnebergers gehört haben.
Als die Tür zufiel, bimmelte das Türglöckchen zum zweitenmal. Er erkannte den Klang wieder, das Glöckchen war damals schon dagewesen. Er wartete. Nichts regte sich.
Durch eine weitere Tür betrat er die Gaststube. Mit Reminiszenzen hielt er sich nicht auf, obwohl viele Bilder auf ihn einstürmten. Er wärmte sich eine Packung Erbsen, die er in
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