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Die Arche

Die Arche

Titel: Die Arche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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einzutauchen. Wenn die
Röhren die Luft berührten, bewegten sie sich mit
Orbitalgeschwindigkeit – viele Kilometer pro Sekunde – und
rissen tiefe Wunden in die äußeren Schichten. Dicht
unterhalb der Mondbahn zog sich ein schmaler, aufgewühlter,
rostroter Streifen zwei bis drei Mal um den Planeten. Bei jedem
Umlauf verlief diese Furche dank der Rotation des Gasriesen ein klein
wenig anders, so dass die beiden Monde mit der Zeit ein kompliziertes
geometrisches Muster in die Wolkenmassen zeichneten, das einem
kunstvollen kalligrafischen Schnörkel glich. Das Schauspiel war
von einer Schönheit, der Thorn sich nicht entziehen konnte, so
sehr es ihn auch anwiderte. Dem Planeten stand ein grausames
Schicksal bevor. Diese Schriftzeichen waren ein prunkvolles
Abschiedsritual für eine sterbende Welt.
    »Jetzt werden Sie uns doch wohl glauben«, sagte
Vuilleumier.
    »Ich bin nahe daran«, sagt Thorn. Er klopfte gegen das
Fenster. »Das sieht zwar aus wie Glas, aber vermutlich
könnte es auch ein dreidimensionaler Bildschirm sein… so
viel Raffinesse möchte ich Ihnen allerdings nicht unterstellen.
Auch wenn ich in einem Raumanzug hinausginge, um mir alles aus der
Nähe anzusehen, könnte ich nicht sicher sein, ob das
Helmvisier auch wirklich aus Glas wäre.«
    »Sie sind sehr misstrauisch.«
    »Ich habe gelernt, dass man auf diese Weise besser durchs
Leben kommt.« Thorn hatte vorerst genug gesehen und setzte sich
wieder auf seinen Platz. »Schön. Nächste Frage. Was
geht da unten vor? Was soll daraus noch werden?«
    »Das brauchen wir nicht zu wissen, Thorn. Die Tatsache, dass
uns eine Katastrophe bevorsteht, ist uns Information genug.«
    »Mir nicht.«
    »Diese Maschinen…« Vuilleumier zeigte zum Fenster.
»Wir wissen, was sie tun, aber nicht, wie sie es tun. Sie
löschen Zivilisationen aus, langsam und mit pedantischer
Gründlichkeit. Sylveste hat sie angelockt – unabsichtlich
vielleicht, obwohl ich diesem Bastard alles zutrauen würde
– und jetzt sind sie da und tun ihre Arbeit. Das sollte Ihnen
und mir und allen anderen genügen. Nun müssen wir nur noch
alle Menschen so schnell wie möglich von hier
wegbringen.«
    »Wenn diese Maschinen so leistungsfähig sind, wie Sie
sagen, wird uns das wohl nicht viel nützen?«
    »Es verschafft uns jedenfalls Zeit«, sagte sie.
»Und noch etwas. Die Maschinen sind zwar leistungsfähig,
aber nicht mehr ganz so leistungsfähig, wie sie einmal
waren.«
    »Sie sagten doch, sie wären selbstreplizierend. Warum
sollte ihre Leistungsfähigkeit dann nachlassen? Eigentlich
müssten sie ganz im Gegenteil immer klüger und schneller
werden, weil sie ständig dazulernen.«
    »Wer immer sie gebaut hat, wollte nicht, dass sie zu klug
würden. Die Unterdrücker schufen die Maschinen, um neue
Herde von Intelligenz auszurotten. Es wäre nicht sehr sinnvoll,
wenn die Maschinen die Nische, die sie freihalten sollen, selbst
besetzten.«
    »Vermutlich nicht…« Thorn wollte sich nicht so
leicht geschlagen geben. »Ich denke, Sie müssen mir noch
mehr erzählen. Aber zunächst will ich noch näher
heran.«
    »Wie viel näher?«, fragte sie misstrauisch.
    »Das Schiff ist stromlinienförmig. Ich denke, es ist
atmosphäretauglich.«
    »Das stand nicht im Vertrag.«
    »Sie können mich ja verklagen.« Er grinste.
»Ich bin von Natur aus neugierig, genau wie Sie.«
    * * *
    Scorpio kam zu sich. Es war kalt und feucht, und er zitterte wie
Espenlaub. Angewidert kratzte er sich die glänzende, fettige
Gelschicht von der nackten Haut. Sie löste sich mit einem
ekelhaft schmatzenden Geräusch in halb durchsichtigen Klumpen.
Den Bereich um die Brandnarbe an der rechten Schulter herum
berührte er nur sehr vorsichtig. Die Stelle faszinierte ihn. Er
kannte jeden Quadratzentimeter in und auswendig, doch als er nun
nachzeichnete, wo sein glattes Schweinefleisch in runzlig-zähes
Narbengewebe überging, das sich anfühlte wie
Räucherspeck, wurde er an seine heiligste Pflicht erinnert, die
Aufgabe, die er sich nach der Flucht vor Quail selbst gestellt hatte.
Er durfte Quail nie vergessen. Er durfte nicht vergessen, dass der
Mann – trotz aller Veränderungen – im genetischen
Sinne durch und durch menschlich gewesen war. Denn daraus folgte,
dass Scorpios Rache in erster Linie die Menschen treffen musste.
    Schmerzen hatte er nicht, er spürte nicht einmal die Wunde,
aber er fühlte sich unwohl und war desorientiert. In seinen
Ohren dröhnte es, als hätte man ihm den Kopf in einen
Ventilationsschacht

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