Die Arche
Lichter aus. Clavain erriet, dass
einer der Piraten sie soeben mit einer Rakete mit EMP-Sprengkopf
getroffen hatte. So viel zu Antoinettes großspuriger
Behauptung, alle kritischen Systeme würden durch
optoelektronische Leitungen gespeist…
»Clavain…« Sie sah sich mit weit aufgerissenen
Augen verängstigt nach ihm um. »Ich kriege die
Kaltlichtlaser nicht in Gang…«
»Versuchen Sie es über einen anderen Pfad.«
Ihre Finger rasten über die Tasten, und Clavain sah, wie sich
das Spinnennetz von Datenverbindungen veränderte, als sie die
Daten in andere Bahnen lenkte. Wieder erzitterte das Schiff. Clavain
beugte sich vor und schaute durch das Backbordfenster. Das Phantom
war jetzt riesengroß und bremste mit anhaltendem Gegenschub ab.
Lange Enterhaken klappten aus wie die haarigen, krallenbewehrten
Beine eines vielgliedrigen schwarzen Insekts, das im Begriff war, aus
seinem Kokon zu schlüpfen.
»Mach schneller«, drängte Xavier, der Antoinette
zusah.
»Antoinette«, sagte Clavain so ruhig, wie er nur konnte.
»Lassen Sie mich übernehmen. Bitte.«
»Was zur Hölle soll das…«
»Lassen Sie mich übernehmen.«
Sie atmete ein paar Sekunden lang tief durch und sah ihn dabei
fest an, dann schnallte sie sich ab und schob sich aus ihrem Sitz.
Clavain nickte, zwängte sich an ihr vorbei und setzte sich vor
die Waffensäule.
Er hatte sich schon zuvor damit vertraut gemacht. Sobald er mit
den Fingern die Elemente berührte, begannen seine Implantate
seine subjektive Wahrnehmungsgeschwindigkeit zu beschleunigen.
Ringsum bewegte sich alles, seien es die Mimik seiner Retter oder die
Warnbotschaften, die über die Steuerkonsole flimmerten, mit
gletscherhafter Langsamkeit. Selbst seine Hände schwammen wie in
Sirup, und der Abstand zwischen dem Aussenden eines Nervensignals und
der Reaktion seiner Hände war sehr deutlich. Doch daran war er
gewöhnt. Er hatte so etwas schon häufig gemacht und
kalkulierte die trägen Reaktionen seines eigenen Körpers
automatisch mit ein.
Als seine Wahrnehmungsgeschwindigkeit das Fünfzehnfache des
Normalwerts erreichte, so dass ihm jede reale Sekunde wie
fünfzehn Sekunden erschien, blieb er auf diesem Niveau und zwang
sich zu tiefer Gelassenheit. Eine Sekunde war im Krieg eine lange
Zeit. Fünfzehn Sekunden waren noch sehr viel mehr. In
fünfzehn Sekunden konnte man eine ganze Menge tun und eine ganze
Menge denken.
Nun denn. Er optimierte die Steuerpfade für die
restlichen Waffen. Das Spinnennetz geriet in Bewegung und
konfigurierte sich neu. Clavain untersuchte eine Reihe von
möglichen Lösungen und vermied es, sich mit der zweitbesten
zufrieden zu geben. Auch wenn es zwei reale Sekunden dauern mochte,
die beste Anordnung der Datenströme zu finden, wäre die
Zeit gut angelegt. Er warf einen Blick auf das Kurzstreckenradar und
stellte belustigt fest, dass der Update-Zyklus inzwischen so langsam
war wie der Schlag eines riesigen Herzens.
So. Die Kaltlichtlaser gehorchten ihm wieder. Jetzt brauchte er
nur noch die Strategie der veränderten Situation anzupassen. Bis
der Umbau geistig verarbeitet war, würden ein paar Sekunden
– reale Sekunden – vergehen.
Es würde knapp werden.
Aber er glaubte, er würde es schaffen.
* * *
Dank Clavains Einsatz wurde ein Phantom zerstört und das
zweite schwer beschädigt. Das angeschlagene Schiff verschwand im
Dunkeln. Seine Neonmarkierungen flackerten so hektisch wie ein
Glühwürmchen mit Kurzschluss. Nach fünfzig Sekunden
sahen sie die Flamme seines Fusionsbrenners aufleuchten, und dann
stürzte es vor ihnen auf den Rostgürtel zu.
»So macht man sich Freunde und gewinnt Einfluss«, sagte
Antoinette und sah dem Wrack nach. Die Hälfte des Rumpfes war
weggeschossen, aus seinem wirren Innenleben quoll grauer Rauch.
»Gute Arbeit, Clavain.«
»Vielen Dank«, sagte er. »Wenn ich mich nicht sehr
irre, haben Sie jetzt zwei Gründe, mir zu vertrauen. Und jetzt
entschuldigen Sie bitte, aber ich muss mich verabschieden.«
Damit fiel er in Ohnmacht.
* * *
Der Rest des Flugs verlief ohne Zwischenfälle. Clavain war
nach dem Kampf gegen die Phantome acht oder neun Stunden lang ohne
Besinnung, dann hatte sich sein Gehirn von den Strapazen der langen
Beschleunigungsphase erholt. Da er nicht wie Skade entsprechend
aufgerüstet war, konnte er eine so starke Erhöhung der
Denkgeschwindigkeit an sich nicht länger als eine bis zwei
Sekunden durchhalten und hatte so etwas wie einen schweren Hitzschlag
erlitten.
Aber die Nachwirkungen waren
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