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Die Arche

Die Arche

Titel: Die Arche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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begeistern. Zebra sagte, dies sei nicht
Ihr erster Besuch in Chasm City, aber ich könnte mir denken,
dass Sie die Stadt noch nie aus dieser Perspektive gesehen
haben.« Der Fremde beugte sich vor und reichte Clavain die Hand.
»Bitte kommen Sie. Ich verspreche Ihnen auch, anschließend
alle Ihre Fragen zu beantworten.«
    »Alle?«
    »Die meisten.«
    Clavain hievte sich mit seiner Hilfe zum Stehen hoch. Er war noch
etwas schwach auf den Beinen, konnte aber ohne weiteres allein gehen.
Als er den kalten Marmor an den bloßen Füßen
spürte, fiel ihm wieder ein, dass er die Schuhe ausgezogen
hatte, bevor er den demarchistischen Raumanzug anlegte.
    Der Mann führte ihn zu einer der Wendeltreppen.
»Schaffen Sie das, Mr. Clavain? Es lohnt sich. Unten sind die
Fenster ein wenig verstaubt.«
    Clavain folgte ihm über schwankende Stufen zu einem der frei
schwebenden Laufstege hinauf. Der Weg schlängelte sich in so
vielen Windungen zwischen den Spalieren hindurch, dass er vollkommen
die Orientierung verlor. Vom Sessel aus hatte er vor den Fenstern nur
verschwommene Formen und ein helles ockerfarbenes Licht gesehen, das
alles mit einem melancholischen Schein übergoss, doch hier oben
war alles viel schärfer. Der Mann führte ihn zu einer
Balustrade.
    »Darf ich bitten, Mr. Clavain: Chasm City. Eine Stadt, die
ich inzwischen kennen gelernt habe und, wenn ich sie auch nicht
unbedingt liebe, so doch nicht mehr mit dem gleichen missionarischen
Eifer verdamme wie damals, als ich hier eintraf.«
    »Sie sind nicht von hier?«, fragte Clavain.
    »Nein. Ich bin ähnlich weit herumgekommen wie
Sie.«
    Die Stadt breitete sich nach allen Seiten aus und verschwand in
der Ferne im Dunst. Nicht mehr als zwei Dutzend Gebäude waren
höher als das Gewächshaus, doch von denen ragten einige so
hoch auf, dass ihre Spitzen in der Wolkendecke verschwanden. Viele
Kilometer entfernt zeichnete sich die Kraterwand als dunkle Linie
über dem Smog ab. Chasm City lag im Innern eines Kraters, auf
dessen Grund ein gähnendes Loch, der Abgrund, in die
Kruste von Yellowstone hinabführte. Die Stadt war bis an den
Rand des Lochs herangebaut, das seine Gase in die Atmosphäre
rülpste, und schob Rohrleitungen wie Klauen in seine Tiefen
hinab. Die Gebäude lehnten aneinander, verflochten sich und
verschmolzen zu berauschend fremdartigen Formen. In der Luft
herrschte reger Betrieb, verschiedenste Flugmaschinen bildeten einen
in ständiger Bewegung befindlichen Teppich, dem das Auge kaum zu
folgen vermochte. Es war kaum zu fassen, wie viele unaufschiebbare
Reisen in wichtigen Geschäften hier gleichzeitig stattfanden.
Doch Chasm City war riesig. Der Luftverkehr stellte nur einen
verschwindend geringen Teil der Aktivitäten dar, die sich selbst
in Kriegszeiten im Schatten der vielen Türme abspielten.
    Früher war das anders gewesen. Die Geschichte der Stadt
ließ sich grob in drei Phasen untergliedern. Während der
längsten, der Belle Epoque, hatten die Demarchisten und
ihre herrschenden Familien die absolute Macht in Händen
gehalten. Damals schmachtete die Stadt unter den achtzehn miteinander
verbundenen Kuppeln des Moskitonetzes und bezog ihren gesamten
Energiebedarf und alle chemischen Substanzen aus dem Abgrund. Im Schutz der Kuppeln hatten die Demarchisten die Beherrschung
der Materie und die Technik der Informationsverarbeitung zur
Vollendung getrieben. Ihre Langlebigkeitsexperimente hatten ihnen die
biologische Unsterblichkeit beschert, und dank
regelmäßiger Speicherung ihrer Neuralmuster in Computern
waren selbst gewaltsame Todesfälle kaum mehr als ein
lästiges Ärgernis gewesen. Fortschritte auf dem Gebiet der
›Nanotechnik‹, wie die Disziplin etwas nostalgisch noch
immer genannt wurde, hatten sie befähigt, ihre Umgebung und den
eigenen Körper nach Belieben umzugestalten. Ihre
Wandlungsfähigkeit kannte so gut wie keine Grenzen, und Stasis
in jeglicher Form war ihnen ein Gräuel.
    Die zweite Phase hatte erst vor einem Jahrhundert mit dem Ausbruch
der Schmelzseuche begonnen, einer Krankheit, die, gut demokratisch,
gleichermaßen gierig über Menschen und Gebäude
hergefallen war. Die Demarchisten hatten erst mit einiger
Verspätung erkannt, dass in ihrem Garten Eden eine besonders
tückische Schlange lauerte. Bis dahin hatte man die
Veränderungen beherrscht, doch die Seuche entriss den Menschen
jegliche Kontrolle. Binnen weniger Monate war die Stadt nicht
wiederzuerkennen. Menschen, die Maschinen im Körper hatten,
konnten sich nur in

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