Die Arche
Bekannter
mochte noch so weltgewandt und sympathisch sein, er hatte ihn
immerhin entführt. Und Clavain hatte ein dringendes Anliegen,
das keinen Aufschub duldete.
»Erzählen Sie mir mehr von Skade«, sagte er.
»Was wollte sie von der Mademoiselle?«
»Von hier an wird es etwas kompliziert. Ich werde mein Bestes
tun, aber Sie müssen entschuldigen, ich habe die Sache selbst
nie so ganz begriffen. Und daran wird sich auch nichts mehr
ändern, wenn ich ehrlich sein soll.«
»Beginnen Sie am Anfang.«
Sie hatten einen Korridor erreicht. H ging weiter, vorbei an
zahlreichen abstrakten Skulpturen, die aussahen, als hätte ein
riesiger Metalldrachen einzelne Schuppen seiner Panzerung abgeworfen.
Jedes Stück war beschildert und ruhte auf einem eigenen
Sockel.
»Skade interessierte sich für Technologie, Mr.
Clavain.«
»Von welcher Art?«
»Eine sehr fortgeschrittene Technologie, die sich mit der
Manipulation des Quantenvakuums befasste. Ich bin kein
Naturwissenschaftler, Mr. Clavain, und ich will auch gar nicht
behaupten, die einschlägigen Konzepte wirklich erfassen zu
können. Doch so weit ich weiß, gehen bestimmte
physikalische Eigenschaften von Materie – zum Beispiel die
Trägheit – direkt auf die Eigenschaften des Vakuums
zurück, in das sie eingebettet sind. Reine Spekulation
natürlich, aber könnten die Synthetiker ein Verfahren zur
Kontrolle der Trägheit nicht sehr gut gebrauchen?«
Clavain dachte daran, mit welcher Geschwindigkeit ihn die Nachtschatten quer durch das ganze Sonnensystem verfolgt
hatte. Ein Verfahren zur Trägheitsunterdrückung hätte
das ermöglicht, und damit wäre auch erklärt, warum
Skade bei der vorangegangenen Mission an Bord gewesen war. Sie hatte
wohl ihre Anlage im praktischen Einsatz testen und die nötigen
Feinkorrekturen vornehmen wollen. Demnach existierte diese Technik
bereits, wenn auch nur in Form eines Prototyps. Aber das sollte H
selbst herausfinden.
»Ich weiß nichts von einem Programm zur Entwicklung
eines solchen Verfahrens«, sagte Clavain und vermied mit dieser
Formulierung geschickt eine direkte Lüge.
»Das hätte man sicher geheim gehalten, auch unter den
Synthetikern. Solche Forschungen sind sehr experimentell und sicher
auch gefährlich.«
»Woher stammte die Technologie denn
ursprünglich?«
»Hier wird es interessant. Skade – und damit die
Synthetiker insgesamt – hatten wohl schon, bevor sie hierher
kamen, ziemlich genaue Vorstellungen, wonach sie suchten, so als
ginge es nur um das letzte Steinchen in einem Mosaik. Wie Sie ja
wissen, galt Skades Operation als gescheitert. Sie war die einzige
Überlebende und konnte sich nur mit einer Handvoll geraubter
Objekte in Ihr Mutternest absetzen. Ob das ausreichte, vermag ich
nicht zu beurteilen…« H sah sich mit wissendem Lächeln
nach Clavain um.
Sie hatten das Ende des Korridors erreicht und standen auf einem
vorspringenden Sims, das um einen riesigen, viele Stockwerke hohen
Raum mit schräg nach innen geneigten Wänden herum
führte. Clavain spähte über die niedrige
Brüstung. In die glatten schwarzen Wände waren Abflussrohre
und Kanalisationsschächte eingezogen.
»Ich möchte meine Frage wiederholen«, sagte
Clavain. »Woher war die Technologie ursprünglich
gekommen?«
»Von einem Spender«, antwortete H. »Vor etwa
hundert Jahren gelangte ich an eine erstaunliche Information. Ich
erhielt Kenntnis vom Aufenthaltsort eines Individuums, eines Alien,
das vor vielen Millionen Jahren als Schiffbrüchiger, aber ohne
größere Verletzungen auf diesem Planeten gelandet war und
seither unbemerkt hier ausgeharrt hatte.« Er hielt inne und
beobachtete Clavains Reaktion.
»Fahren Sie fort«, sagte Clavain, entschlossen, sich
nicht aus der Fassung bringen zu lassen.
»Leider war ich nicht der Erste, der von dem bedauernswerten
Geschöpf erfuhr. Vor mir hatten andere entdeckt, dass sich von
ihm eine wertvolle Substanz gewinnen ließ, wenn man es gefangen
hielt und ihm in regelmäßigen Abständen heftige
Schmerzen zufügte. Das wäre an sich schon abscheulich genug
gewesen, doch obendrein handelte es sich um ein in hohem Maße
sozial orientiertes und auch intelligentes Wesen – den
Angehörigen einer uralten und sehr ausgedehnten
Raumfahrerzivilisation. Im Wrack seines Schiffes fanden sich Teile
einer technischen Anlage, die noch funktionsfähig war. Sehen Sie
jetzt, worauf die Geschichte hinausläuft?«
Sie waren um die eine Seite des großen Gewölbes
herumgegangen. Clavain hatte noch nicht
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