Die Arche
normaler
Lautstärke. »Aber bei diesem Licht und ohne Schwerkraft
sieht alles anders aus. Ich kenne mich nicht so gut aus, wie ich
dachte. Wenn wir nur wüssten, mit wie vielen
Besatzungsmitgliedern wir zu rechnen haben.«
»Skade hat nie einen Hinweis gegeben?«, zischte Scorpio
zurück.
»Nein. Ein paar Experten würden genügen, um ein
solches Schiff zu fliegen. Aber du brauchst nicht zu flüstern,
Scorp. Wenn jemand in der Nähe ist, weiß er ohnehin schon,
dass wir hier sind.«
»Was war noch einmal der Grund, warum wir ohne Waffen
gekommen sind?«
»Sie hätten uns nichts genützt, Scorp. An Bord gibt
es bessere und schwerere Waffen. Wenn wir Felka nicht einfach
mitnehmen können, müssen wir verhandeln.« Clavain
klopfte auf seinen Werkzeuggürtel. »Wobei wir allerdings
schlagkräftige Argumente hätten.«
Sie hatten Stecknadelköpfe mitgebracht. Die mikroskopisch
kleinen Antimaterie-Teilchen wurden in einem nadeldicken
Sicherheitsbehälter aufbewahrt, der sich wiederum in einer
daumengroßen gepanzerten Granate befand. Der Sprengkörper
hätte die Nachtschatten in feinste Teilchen
zerrissen.
Sie zogen sich Hand über Hand durch den rot erleuchteten
Korridor. Hin und wieder nahm jeder in unregelmäßigen
Abständen eine der Stecknadelkopfgranaten vom Gürtel,
bestrich sie mit Epoxid und deponierte sie in einer Ecke oder
irgendwo im Schatten. Clavain war sicher, dass eine gut organisierte
Suchmannschaft alle Sprengkörper in zwanzig bis dreißig
Minuten finden könnte. Aber es sah ganz so aus, als wäre
man auf diesem Schiff in absehbarer Zeit nicht fähig, eine gut
organisierte Suchmannschaft auszurüsten.
Sie hatten sich acht Minuten lang vorangetastet, als sich der
Korridor in drei Äste gabelte. Scorpio brach das Schweigen.
»Wissen Sie jetzt, wo wir sind?«
»Ja. Nicht weit von der Brücke.« Clavain deutete
auf einen der Korridore. »Aber zur Kälteschlafkammer geht
es hier entlang. Wenn Felka eingefroren wurde, müsste sie dort
sein. Da gehen wir zuerst hin.«
»Wir müssen in zwanzig Minuten wieder draußen
sein.«
Clavain wusste, dass die Frist im Grunde nicht so ernst zu nehmen
war. Selbst wenn sich der Start verzögerte, könnte die Zodiakallicht zurückfliegen, um das Shuttle zu bergen,
aber der Zeitaufwand wäre unverantwortlich hoch und mochte beim
Rest der Besatzung eine Selbstgefälligkeit aufkeimen lassen, die
er für gefährlich hielt. So war er nach Abwägung aller
Risiken zu dem Schluss gelangt, sie sollten lieber alle drei sterben
oder zumindest auf der Nachtschatten zurückbleiben. Ihre
Stellvertreter und deren Helfer könnten die Mission auch dann
fortsetzen, wenn nicht einmal Remontoire lebend zurückkehrte,
und alle mussten fest davon überzeugt sein, es käme
wirklich auf jede Sekunde an. Denn so war es auch. Es war hart. Aber
man befand sich im Krieg, und dies war bei weitem nicht die
härteste Entscheidung, die Clavain jemals hatte treffen
müssen.
Schweigend arbeiteten sie sich auf allen vieren zur
Kälteschlafkammer vor.
»Da vorn ist etwas«, bemerkte Scorpio nach einigen
Sekunden.
Clavain wurde langsamer und spähte angestrengt in das
rötliche Halbdunkel. Jetzt beneidete er Scorpio um sein
künstlich geschärftes Sehvermögen. »Sieht aus wie
ein Körper«, sagte er.
Sie zogen sich an den gepolsterten Handgriffen vorsichtig weiter.
Clavain war sich jeder verstreichenden Minute, jeder halben Minute,
ja jeder Sekunde schmerzlich bewusst.
Dann hatten sie den Körper erreicht.
»Kennen Sie ihn?«, fragte Scorpio fasziniert.
»Ich weiß nicht, ob er eindeutig zu identifizieren
ist«, sagte Clavain, »aber es ist jedenfalls nicht Felka,
und ich halte es auch für ausgeschlossen, dass es Skade
ist.«
Der Körper bot ein Bild des Grauens. Er war der Länge
nach in der Mitte durchtrennt worden, so sauber und präzise wie
ein anatomisches Modell. Die inneren Organe waren fest
zusammengerollt und wie mit glänzendem Zuckerguss
überzogen. Die halbe Leiche war an einer glatten Wand zur Ruhe
gekommen. Scorpio streckte eine behandschuhte Pfote aus und gab ihr
einen Schubs, der sie wegtrug.
»Wo mag der Rest sein?«, fragte er.
»Anderswo«, antwortete Clavain. »Diese Hälfte
wurde wohl abgetrieben.«
»Wie ist das passiert? Ich weiß, was Strahlenwaffen
anrichten können, sie sind nicht gerade zimperlich. Aber diese
Leiche weist keinerlei Brandspuren auf.«
»Es war ein Kausalgefälle«, sagte eine dritte
Stimme.
»Skade…«, hauchte Clavain.
Sie hatte sich
Weitere Kostenlose Bücher