Die Arche
Die
winzigen Drohnen hatten sich wie Schildfische an den feindlichen
Rumpf geklebt, waren mit dem Schiff auf den Gasriesen zugerast und
hatten sich wenige Minuten vor dem Eintritt von ihm gelöst. Der
Eintrittswinkel war sehr steil gewesen, deshalb war das feindliche
Schiff so eindrucksvoll in Flammen aufgegangen.
Jetzt schossen die Schlepper mit Höchstgeschwindigkeit zur Nachtschatten zurück, die bereits kehrtgemacht und Kurs
auf das Mutternest genommen hatte. Nach ihrem Eintreffen konnte man
die Operation als abgeschlossen betrachten. Man brauchte sich nur
noch um den Gefangenen zu kümmern, aber über das Schicksal
des Schweins musste nicht sofort entschieden werden. Was Antoinette
Bax anging… nun, aus welchen Motiven sie auch gehandelt haben
mochte, Clavain bewunderte ihren Mut. Ihm imponierte nicht nur, dass
sie so tief in ein Kriegsgebiet vorgedrungen war, sondern auch, dass
sie die Warnung der Schiffsführerin so dreist missachtet und
sich später, als sie in Schwierigkeiten geriet, sogar dazu
aufgerafft hatte, die Synthetiker um Hilfe zu bitten. Sie musste
gewusst haben, wie aussichtslos diese Bitte war. Mit ihrem unbefugten
Eindringen in das Kriegsgebiet hatte sie jedes Recht auf Beistand
verwirkt, und ein Militärschiff würde wohl kaum seine Zeit
oder seinen Treibstoff vergeuden, um ihr aus der Patsche zu helfen.
Sie musste auch gewusst haben, dass die Synthetiker, sollten sie ihr
tatsächlich das Leben retten, sie anschließend
zwangsrekrutieren würden, und das wäre, wenn man der
demarchistischen Propaganda glauben wollte, ein Schicksal schlimmer
als der Tod.
Nein. Sie konnte nicht wirklich mit Hilfe gerechnet haben. Aber
sie war immerhin so tapfer gewesen, darum zu bitten.
Clavain seufzte. Er war nahe daran, sich selbst zu hassen. Mit
einem Neuralbefehl wies er die Nachtschatten an, den
bedrängten Frachter mit dem Laser anzupeilen. Als die Verbindung
stand, sagte er laut: »Antoinette Bax… hier spricht Nevil
Clavain. Ich befinde mich an Bord des Synthetiker-Schiffes.
Können Sie mich hören?«
Die zeitliche Verzögerung war bereits sehr ausgeprägt,
und das Antwortsignal hatte eine starke Streuung. Ihre Stimme klang,
als käme sie von irgendwo hinter einem fernen Quasar.
»Warum melden Sie sich überhaupt noch, Sie Dreckskerl? Sie
haben mich doch längst meinem Schicksal
überlassen.«
»Aus reiner Neugier.« Er hielt den Atem an. Vielleicht
antwortete sie gar nicht mehr.
»Neugier worauf?«
»Was Sie bewogen hat, uns um Hilfe zu bitten. Haben Sie denn
keine Angst davor, was wir mit Ihnen anstellen würden?«
»Warum sollte ich?«
Das klang recht unbekümmert, aber Clavain ließ sich
nicht täuschen. »Wir pflegen Gefangene im Allgemeinen zu
assimilieren, Bax. Wir würden Sie an Bord bringen und unsere
Maschinen in Ihr Gehirn einschleusen. Erschreckt Sie das
nicht?«
»O doch, aber glauben Sie mir, die Aussicht, gleich auf
diesem Scheißplaneten aufzuschlagen, erschreckt mich im Moment
viel mehr.«
Clavain lächelte. »Eine sehr pragmatische Einstellung,
Bax. Ich finde sie bewundernswert.«
»Schön. Und jetzt hauen Sie bitte ab und lassen mich in
Frieden sterben.«
»Antoinette, hören Sie mir genau zu, es ist ziemlich
dringend. Ich möchte, dass Sie etwas für mich
tun.«
Sie hatte wohl bemerkt, wie sich sein Tonfall verändert
hatte, aber sie war immer noch misstrauisch. »Was?«
»Ihr Schiff soll mir seinen Bauplan überspielen. Ich
brauche eine komplette Skizze des Rumpfprofils und seiner Statik.
Verstärkungen und so weiter. Wenn sie Ihren Rumpf dazu
überreden können, sich so einzufärben, dass die
Stellen mit maximaler Spannung sichtbar werden, umso besser. Ich
möchte wissen, wo ich gefahrlos eine Last anbringen kann, ohne
dass die Hülle darunter nachgibt.«
»Sie können mich nicht retten. Sie sind zu weit weg.
Selbst wenn Sie jetzt umkehren würden, Sie kämen zu
spät.«
»Vertrauen Sie mir, es gibt einen Weg. Aber wenn Sie mir die
Daten nicht schicken, muss ich mich auf meinen Instinkt verlassen,
und das wäre vielleicht nicht die beste Idee.«
Sie antwortete nicht sofort. Er zupfte nervös an seinem Bart
und wagte erst wieder zu atmen, als die Nachtschatten meldete,
die Daten seien eingetroffen. Nachdem er die Nachricht auf
neuropathische Viren untersucht hatte, ließ er sie in seinen
Schädel. Alles, was er über den Frachter wissen musste,
erblühte in seinem Kopf und wurde ins Kurzzeitgedächtnis
gepfropft.
»Vielen Dank, Antoinette. Das genügt.«
Clavain
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