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Die Arche

Die Arche

Titel: Die Arche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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hatte sie einen Mann namens Mirabel einmal gefragt, ob er
jemals so weit gekommen sei, die Stadt zu lieben. Mirabel stammte
ebenfalls von Sky’s Edge. Er hatte geantwortet, man könne
lernen, sich daran zu gewöhnen. Sie hatte ihm nicht geglaubt,
aber am Ende hatte er Recht behalten. Doch erst, nachdem sie Chasm
City so plötzlich hatte verlassen müssen, hatte sie
gelernt, mit einer gewissen Zärtlichkeit darauf
zurückzuschauen.
    Für Resurgam hatte sie solche Gefühle nie
entwickelt.
    Die Scheinwerfer der regierungseigenen Elektrowagen füllten
die Räume zwischen den Gebäuden wie silberne Ströme.
Sie wandte sich ab, ging nach nebenan in ihr Privatkabinett und
schloss die Tür hinter sich.
    Dieser Raum hatte aus Sicherheitsgründen keine Fenster. Sie
ließ sich auf den Polstersessel hinter dem riesigen
hufeisenförmigen Schreibtisch sinken. Es war ein alter
Sekretär, dem man die toten cybernetischen Systeme entnommen und
durch eine primitivere Anlage ersetzt hatte. Auf einer
Wärmeplatte stand eine Tasse mit abgestandenem, lauwarmem
Kaffee. Ein surrender Elektroventilator verbreitete beißenden
Ozongeruch.
    Der Raum war auf drei Seiten, auch um die einzige Tür herum,
mit Regalen vollgestellt, die in Form von gebundenen Berichten die
Früchte ihrer fünfzehnjährigen Arbeit enthielten. Es
wäre absurd gewesen, eine ganze Regierungsbehörde nur mit
der Jagd auf eine einzige Person zu beschäftigen, eine Frau, von
der man nicht einmal mit Sicherheit wusste, ob sie noch am Leben war,
geschweige denn, ob sie sich auf Resurgam aufhielt. Deshalb hatte die
Inquisitionsbehörde auch die Aufgabe, Informationen über
eine Reihe von Gefahrenquellen zu sammeln, die die Kolonie von
außen bedrohten. In Wirklichkeit war der Triumvir jedoch der
wichtigste ungelöste Fall und beherrschte die Arbeit ihrer
Behörde ebenso, wie die Ergreifung des Revolutionärs Thorn
und die Zerschlagung der von ihm angeführten Bewegung die Arbeit
der Nachbarbehörde, des Amts für Innere Sicherheit,
bestimmte. Obwohl seit den Verbrechen des Triumvirs inzwischen mehr
als sechzig Jahre vergangen waren, forderten hochrangige
Regierungsvertreter nach wie vor lauthals ihre Festnahme und ihre
Verurteilung und lenkten damit den Volkszorn, der sich sonst gegen
die Regierung gerichtet hätte, auf ein anderes Ziel. Eine
Hassfigur aufzubauen, war einer ältesten Tricks zur Manipulation
der Massen. Die Inquisitorin hätte sich viel lieber mit anderen
Dingen als mit der Verfolgung gerade dieser Kriegsverbrecherin
beschäftigt. Aber wenn ihre Behörde nicht mit dem
nötigen Engagement an die Sache heranging, würde jemand
anderer die Aufgabe übernehmen, und das durfte sie nicht
zulassen. Immerhin war nicht ganz auszuschließen, dass eine
andere Abteilung Erfolg hätte.
    So war die Inquisitorin bestrebt, den Schein zu wahren. Die Justiz
erhielt die Anklage gegen den Triumvirn aufrecht, denn der Triumvir
war eine Ultra, und deshalb konnte man davon ausgehen, dass sie noch
lebte, obwohl seit ihrem Verbrechen so viel Zeit vergangen war.
Allein zu diesem Fall standen Listen mit zehntausenden von
Verdächtigen und tausende von Verhörprotokollen in den
Regalen. Hunderte von Biografien und Fallbeschreibungen. Zwölf
oder dreizehn weitere Individuen beanspruchten ihrerseits einen
beachtlichen Teil der Fächer. Dabei stand hier nur ein Bruchteil
des gesamten Archivs; lediglich die Unterlagen, die jederzeit zur
Hand sein mussten. Im Keller und in anderen Gebäuden irgendwo in
der Stadt stapelte sich noch zentnerweise Papier. Ein
aufwändiges Rohrpostnetz, von dessen Existenz kaum jemand
wusste, ermöglichte es, Akten in Sekundenschnelle von einer
Behörde zur anderen zu befördern.
    Auf dem Schreibtisch lagen mehrere aufgeschlagene Aktenordner.
Verschiedene Namen waren eingekreist, unterstrichen oder durch
dünne Linien miteinander verbunden. An Karteikarten hingen
Fotos, verschwommene Gesichter, mit dem Teleobjektiv aus einer
Menschenmenge herausgeholt. Die Inquisitorin blätterte sie
durch, schließlich musste sie überzeugend den Eindruck
vermitteln, den vermeintlichen Spuren auch nachzugehen. Sie musste
sich die Berichte ihrer Außenagenten anhören und die
Informationsfetzen integrieren, die von Polizeispitzeln
übermittelt wurden. Es musste so aussehen, als wäre ihr
wirklich daran gelegen, den Triumvirn zu finden.
    Etwas erregte ihre Aufmerksamkeit. Sie wandte sich der vierten
Wand zu.
    Dort prangte eine Mercator-Projektion von Resurgam. Die Karte war
den

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