Die Arche
schickte einen Befehl an eine der zurückkehrenden
Schlepperraketen. Sie beschleunigte blitzartig, löste sich von
den anderen und wendete so eng, dass jeder organische Fahrgast unter
dem Druck zerquetscht worden wäre. Clavain ermächtigte sie,
alle eingebauten Sicherheitsgrenzen zu ignorieren und darauf zu
verzichten, ausreichend Treibstoff für eine Rückkehr zur Nachtschatten zurückzubehalten.
»Was haben Sie vor?«, fragte Bax.
»Ich schicke Ihnen eine Drohne. Sie wird sich an Ihren Rumpf
heften und Sie aus dem Schwerkraftfeld des Gasriesen ziehen.
Draußen im All gibt Ihnen der Schlepper noch einen kleinen
Schubs in Richtung Yellowstone, aber danach sind Sie leider auf sich
gestellt. Ich hoffe, Sie kriegen Ihren Tokamak wieder hin, sonst
haben sie einen sehr langen Rücksturz nach Hause vor
sich.«
Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis sie begriffen hatte.
»Sie nehmen mich nicht gefangen?«
»Heute nicht, Antoinette. Aber sollten Sie meinen Weg noch
einmal kreuzen, dann werde ich Sie töten. Darauf gebe ich Ihnen
mein Wort.«
Er hatte das nicht gern gesagt, aber vielleicht ließ sie
sich mit einer Drohung zur Vernunft bringen. Bevor sie antworten
konnte, unterbrach er die Verbindung.
Kapitel 4
In einem Gebäude in Cuvier auf dem Planeten Resurgam stand
eine Frau mit dem Rücken zur Tür und sah aus dem Fenster.
Die Hände hielt sie hinter dem Körper gefaltet.
»Der Nächste«, sagte sie.
Sie wartete darauf, dass der Verdächtige hereingeschleppt
würde, und bewunderte indessen die Aussicht durch die
schrägen Scheiben, die vom Boden bis zur Decke reichten und oben
weit nach außen ragten. Was sie sah, war großartig und
ernüchternd zugleich. So weit das Auge reichte, erstreckten sich
funktional gestaltete Gebäude von überwältigender,
bedrückender Konformität. Aufeinander getürmte
Würfel und Rechtecke von kompromissloser Geradlinigkeit; mentale
Wellenleiter, die auch den leisesten frohen oder erhebenden Gedanken
ablenkten.
Ihr kleines Büro, nur eines von vielen im großen
Gebäude der Inquisitionsbehörde, lag im wiederaufgebauten
Teil von Cuvier. Aus historischen Unterlagen – die Inquisitorin
war selbst nicht Zeuge der Ereignisse gewesen – ließ sich
ersehen, dass der Bau fast genau über der Stelle stand, wo die
Fluter des Wahren Weges ihre erste Terrorbombe gezündet hatten.
Die stecknadelkopfgroßen Antimateriebomben mit einer
Sprengwirkung im Zwei-Kilotonnen-Bereich waren nicht die
wirkungsvollsten Zerstörungswaffen, die sie jemals kennen
gelernt hatte. Aber vermutlich kam es weniger auf die
Größe einer Waffe an als darauf, wie man sie
einsetzte.
Die Terroristen hätten sich kein weicheres Ziel aussuchen
können, und das Ergebnis war dementsprechend katastrophal
gewesen.
»Der Nächste…«, wiederholte die Inquisitorin
diesmal etwas lauter.
Die Tür wurde knarrend einen Spalt breit geöffnet. Von
draußen ließ sich die Stimme des Wärters vernehmen:
»Das war alles für heute, Madame.«
Natürlich – Iberts Akte war die letzte im Stapel
gewesen.
»Danke«, antwortete die Inquisitorin. »Sie haben
wohl nichts weiter von der Untersuchung im Fall Thorn
gehört?«
Die Stimme des Wärters klang etwas unsicher, was durchaus
verständlich war, schließlich gab er Informationen
über eine Konkurrenzbehörde weiter. »Ein Mann wurde
nach dem Verhör auf freien Fuß gesetzt, soviel ich
weiß. Er hatte ein wasserdichtes Alibi, aber es bedurfte
einiger Überredung, bis er damit herausrückte. Er war mit
einer Frau zusammen gewesen, die nicht die seine war.« Er zuckte
die Achseln. »Die übliche Geschichte…«
»Und die üblichen Überredungskünste… ich
nehme an, er ist ein paar Mal unglücklich die Treppe
hinuntergestürzt. Was Thorn betrifft, haben sie also keine neuen
Spuren?«
»Er ist wohl ebenso schwer zu fassen wie der Triumvir.
Verzeihung, Sie wissen schon, wie das gemeint ist.«
»Ja…« Sie zog das Wort genüsslich in die
Länge.
»Ist das alles?«
»Für heute ja.«
Die Tür fiel knarrend ins Schloss.
Die Frau mit dem offiziellen Titel Inquisitorin Vuilleumier wandte sich wieder der Stadt zu. Delta Pavonis stand tief am
Himmel und ließ die Gebäude in allen Schattierungen von
Rostrot bis Orange erstrahlen. Sie betrachtete die Aussicht, bis es
dunkel wurde, und verglich sie mit ihren Erinnerungen an Chasm City
und vorher an Sky’s Edge. Ob ihr ein Ort gefiel oder nicht,
entschied sich immer am Abend. Nicht lange nach ihrer Ankunft in
Chasm City
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