Die Arche
Bauch ihres
Shuttles und um sich herum nur die Technik im Innern des
Geschützes. Alles war von diesem mattgrünen Schein
übergossen.
Sie wiederholte die Prozedur, die sie schon einmal durchlaufen
hatte, und rechnete bei jedem Schritt damit, aufgehalten zu werden.
Aber sie wusste ja, dass sie absolut nichts zu verlieren hatte. Die
Angstgeneratoren des Geschützes liefen immer noch auf vollen
Touren, aber diesmal empfand sie die künstlich erzeugte Panik
eher als ermutigend, denn sie zeigte ihr, dass zentrale Funktionen
des Geschützes noch aktiv waren, und dass Clavain die Siebzehn
nur betäubt, nicht aber völlig deaktiviert hatte. Sie hatte
Letzteres zwar nie ernsthaft in Betracht gezogen, aber eine leise
Unsicherheit war immer geblieben. Angenommen, Clavain hätte den
Code selbst nicht so ganz verstanden?
Aber das Geschütz war nicht tot, es schlief nur.
Und dann passierte das Gleiche wie beim ersten Mal. Die Luke
schloss sich, im Innern des Geschützes setzten sich die
Maschinenteile in Bewegung, und eine Präsenz von
unaussprechlicher Bösartigkeit kam auf sie zu. Sie wappnete
sich. Sie wusste zwar, dass sie nur mit einer hochentwickelten
Unterpersönlichkeit konfrontiert wurde, aber das konnte den
Schrecken nicht mildern.
Die Präsenz war da, baute sich hinter ihr auf wie ein
Schatten, der sich stets am äußersten Rand ihres
Blickfelds hielt. Wieder war sie wie gelähmt, und wie beim
ersten Mal hatte sich die Angst binnen eines Augenblicks zehnfach
verstärkt.
[Die Ruchlosen finden keine Ruhe, nicht wahr, Ilia?]
Sie erinnerte sich, dass die Waffe ihre Gedanken lesen konnte. Ich wollte nur mal vorbeischauen, um zu sehen, wie es dir geht,
Siebzehn. Du hast doch nichts dagegen?«
[Das ist alles? Ein Anstandsbesuch?]
Eigentlich doch ein bisschen mehr.
[Das dachte ich mir. Du kommst doch immer nur, wenn du etwas
von mir willst.]
Du tust nicht gerade viel dazu, damit ich mich hier willkommen
fühle, Siebzehn.
[Was, die erzwungene Paralyse und das schleichende Entsetzen?
Willst du sagen, das gefällt dir nicht?]
Ich nehme an, es soll mir auch nicht gefallen,
Siebzehn.
Die Antwort des Geschützes klang leicht gekränkt.
[Mag sein.]
Siebzehn…es gibt da etwas, worüber wir reden
müssen, wenn es dir recht ist…
[Ich habe nichts weiter vor. Und du sicher auch
nicht.]
Nein, wohl nicht. Hast du die Schwierigkeit bemerkt, Siebzehn?
Den Code, der dich am Feuern hindert?
Die Gekränktheit – falls man es so nennen konnte –
verstärkte sich, die Stimme klang fast schon entrüstet.
[Wie könnte mir so etwas entgehen?]
Es war ja nur eine Frage. Was diesen Code angeht,
Siebzehn…
[Ja?]
Ich nehme an, es ist unmöglich, ihn zu ignorieren?
[Den Code ignorieren?]
Etwas in dieser Richtung, ja. Nachdem du über ein gewisses
Maß an freiem Willen verfügst, dachte ich mir, man
könnte die Möglichkeit – wie soll ich sagen –
wenigstens einmal erörtern… Natürlich kann man
vernünftigerweise nicht erwarten, dass du zu so etwas
fähig…
[Vernünftigerweise nicht erwarten, Ilia?]
Nun ja, du hast doch sicher deine Grenzen. Und wenn dieser
Code, wie Clavain behauptet, eine Systemunterbrechung im
Stammverzeichnis bewirkt… nun, dann muss ich wohl damit rechnen,
dass du dagegen nicht viel ausrichten kannst.
[Was versteht Clavain denn schon?]
Etliches mehr als du oder ich, nehme ich an…
[Unsinn, Ilia.]
Dann wäre es möglich…?
Das Geschütz ließ sich so lange Zeit, dass Volyova
schon glaubte, sie hätte gewonnen. Sogar die Angst ließ
nach. Jetzt war sie kaum noch schlimmer als bei einem akuten
hysterischen Anfall.
Doch dann brannte sich die Antwort in ihr Bewusstsein. [Ich
weiß, was du vorhast, Ilia.]
Ja?
[Aber es wird nicht funktionieren. Hast du allen Ernstes
geglaubt, ich wäre so leicht zu beeinflussen? So lenkbar? So
lächerlich kindisch?]
Ich weiß nicht. Ich hatte nur für einen Moment
gedacht, ich hätte mich selbst in dir wiedererkannt, Siebzehn.
Das ist alles.
[Du stirbst, nicht wahr?]
Sie war schockiert. Woher willst du das wissen?
[Ich weiß sehr viel mehr über dich als umgekehrt,
Ilia.]
Ich sterbe, richtig. Aber was ändert das? Du bist nur eine
Maschine, Siebzehn. Du kannst nicht verstehen, wie das ist.
[Ich werde dir nicht helfen.]
Nein?
[Ich kann es nicht. Du hast Recht. Der Code greift ins
Stammverzeichnis ein. Dagegen komme ich nicht an.]
Und all das Gerede von freiem Willen…?
Die Lähmung war plötzlich wie weggeblasen. Die Angst
blieb, aber sie war nicht
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