Die Arche
veröffentlicht hatte. Deutsch behauptete, man
dürfe die Zeit nicht als fließenden Strom sehen, sondern
als eine Reihe von statischen Schnappschüssen, aufeinander
gestapelt zu Raumzeiten, innerhalb derer der Zeitfluss nur subjektive
Illusion war. Deutschs Modell gestattete ausdrücklich Zeitreisen
in die Vergangenheit ohne Beeinträchtigung des freien Willens
und zugleich ohne Paradoxa. Der Haken bei der Sache war, dass eine
bestimmte ›Zukunft‹ nur mit der ›Vergangenheit‹
eines anderen Universums kommunizieren konnte. Woher die Botschaften
also auch kamen, aus Galianas Zukunft stammten sie sicher nicht. Sie
mochten einer Zukunft entstammen, die der ihren sehr nahe stand, aber
es war keine Zukunft, die sie jemals erreichen konnte. Doch darauf
kam es nicht an. Denn wichtiger als die genaue Bestimmung ihrer
Herkunftsepoche war der Inhalt der Botschaften selbst.
Felka hatte nie Genaueres darüber erfahren, was Galianas
Botschaften enthielten, aber sie konnte es erraten. Wahrscheinlich
war der Tenor der gleiche wie in jenen Mitteilungen, die bei Felkas
wenigen Einsätzen eingetroffen waren.
Dabei handelte es sich um Anweisungen zur Herstellung bestimmter
Dinge, Anhaltspunkte oder Wegweiser in eine bestimmte Richtung, aber
keine genauen Pläne. Oder aber um Verbote oder Warnungen. Doch
bis die Sendungen aus der Ferne die Versuchspersonen im
Exordium-Labor erreichten, waren sie nur noch halb verhallte Echos,
verstümmelt wie am Ende eines Stille-Post-Spiels und mit
Dutzenden von Zwischenrufen vermischt. Es war, als gäbe es nur
eine offene Leitung mit endlicher Bandbreite zwischen Gegenwart und
Zukunft, und als verringere sich mit jeder Botschaft die
Kapazität für potenzielle künftige Durchsagen. Was
Felka freilich am meisten erschreckt hatte, war nicht der Inhalt der
Botschaften gewesen, sondern das, was sich dahinter verbarg.
Sie hatte ein Bewusstsein gespürt.
»Wir berührten etwas«, erklärte sie
Remontoire. »Oder besser, wir wurden berührt. Als wir die
Anweisungen empfingen, drang etwas mit ihnen durch den Korridor und
streifte unseren Geist.«
»Und das war das Böse?«
»Ich kann es nicht anders beschreiben. Dieser kurze Kontakt,
der Moment, in dem wir seine Gedanken teilten, genügte, um die
meisten von uns in den Wahnsinn oder in den Tod zu treiben.« Sie
betrachtete ihrer beider Spiegelbild in der Glaswand. »Aber ich
habe überlebt.«
»Du hattest Glück.«
»Nein. Das war kein Glück. Jedenfalls nicht allein. Ich
erkannte dieses Etwas, deshalb war der Schock für mich nicht so
groß. Und es erkannte auch mich, deshalb zog es sich sofort
zurück, als es mein Bewusstsein berührte, und konzentrierte
sich auf die anderen.«
»Was war es?«, fragte Remontoire. »Wenn du es
erkannt hast…«
»Ich hätte gerne darauf verzichtet, denn seitdem muss
ich mit diesem Moment des Erkennens leben, und das ist nicht so
einfach.«
»Was war es denn nun?«, beharrte er.
»Ich glaube, es war Galiana«, sagte Felka. »Ich
glaube, es war ihr Bewusstsein.«
»In der Zukunft?«
»In einer Zukunft. Nicht in der unseren, jedenfalls
nicht genau.«
Remontoire lächelte verlegen. »Galiana ist tot. Das
wissen wir beide. Wie kann da ihr Geist aus der Zukunft zu dir
gesprochen haben? Auch wenn es eine etwas andere Zukunft war, so
groß kann der Unterschied nicht gewesen sein.«
»Ich weiß es nicht. Ich bin mir nicht sicher. Und ich
frage mich immer wieder, wie sie so werden konnte.«
»Und deshalb bist du ausgestiegen?«
»Das hättest du auch getan.« Felka sah, wie die
Maus den falschen Weg einschlug; sie hatte gehofft, das Tierchen
würde eine andere Abzweigung nehmen. »Jetzt bist du
böse auf mich, nicht wahr? Du findest, ich hätte sie
verraten.«
»Ungeachtet dessen, was du mir eben erzählt hast, ja.
Ich will es nicht leugnen.« Sein Ton war sanfter geworden.
»Ich kann es dir nicht verdenken. Aber ich musste es tun,
Remontoire. Einmal musste ich es tun. Das bereue ich nicht, auch wenn
ich wünschte, diese Erkenntnis nicht gewonnen zu
haben.«
»Und Clavain…«, flüsterte Remontoire.
»Weiß er etwas von alledem?«
»Natürlich nicht. Er ginge daran zugrunde.«
Jemand klopfte mit dem Finger an die Holzwand. Clavain schob sich
in den Raum und warf zuerst einen Blick auf das Labyrinth, bevor er
fragte: »Redet ihr wieder einmal hinter meinem Rücken
über mich?«
»An sich haben wir nicht über dich gesprochen«,
sagte Felka.
»Das enttäuscht mich.«
»Einen Schluck Tee, Clavain? Er
Weitere Kostenlose Bücher