Die Arche
zugedeckt worden. Hier war eine ganze
Reihe von verschiedenen Organisationsprinzipien am Werk gewesen, mit
dem Resultat, dass die von den Reparatur- und Umgestaltungssystemen
des Schiffs erzeugten Wucherungen wie die Hirngespinste eines
wahnsinnigen Künstlers anmuteten, in ihrer krankhaften
Üppigkeit beeindruckend und abstoßend zugleich. Da gab es
Spiralen, die an die Wachstumsstrukturen von Ammoniten erinnerten,
Wirbel und Knoten wie in einer stark vergrößerten
Holzmaserung, Rundhölzer, feine Staubfäden und engmaschige
Netze, Borsten wie struppiges Haar und dicke Geschwülste von
ineinander verzahnten Kristallen. An manchen Stellen wiederholte sich
eine Struktur in ständig kleiner werdenden Fraktalen so lange,
bis sie mit bloßem Auge nicht mehr wahrzunehmen war. Die
Transformationen mit ihrer alles durchdringenden Komplexität
waren auf jeder Ebene wirksam. Wenn man zu lange hinsah, glaubte man
in den verformten Teilen der Panzerung Gesichter oder Teile von
Gesichtern zu erkennen. Sah man noch länger hin, dann schaute
einem das eigene Ebenbild wie aus einem Spiegel entsetzt entgegen.
Doch unter alledem, dachte Khouri, war es immer noch ein Schiff.
»Nun ja«, sagte sie. »Es ist wirklich noch genauso
ein verfickter Albtraum wie früher.«
Volyova lächelte unter ihrer Mütze hervor. »Du
machst mir Mut. Das hört sich schon nicht mehr ganz so sehr wie
die Inquisitorin und sehr viel mehr wie die alte Ana Khouri
an.«
»Ja? Schade, dass ein so verfickter Albtraum nötig war,
um mich wieder zum Vorschein zu bringen.«
»O, das ist noch gar nichts«, erklärte Volyova
unbekümmert. »Warte nur ab, wie es drinnen
aussieht…«
* * *
Um die Andockbucht zu erreichen, musste die Fähre eine
runzlige augenförmige Öffnung in den Wucherungen
durchfliegen. Doch der Hangar dahinter war noch mehr oder weniger
rechtwinklig, und die wichtigsten Wartungssysteme, die von jeher kaum
auf Nanotechnik beruhten, waren noch an Ort und Stelle und gut zu
erkennen. Der Raum war vollgepackt mit den verschiedensten
interplanetaren Fahrzeugen vom stumpfnasigen Vakuumschlepper bis hin
zur größeren Raumfähre.
Sie koppelten an. In diesem Teil des Schiffes herrschte keine
künstliche Schwerkraft, also schwebten sie aus der Fähre
und zogen sich an Handläufen weiter. Khouri ließ Volyova
nur zu gern den Vortritt. Sie waren beide für Notfälle mit
Taschenlampen und Atemmasken versehen, und Khouri musste sich sehr
beherrschen, um den Sauerstoffvorrat nicht anzugreifen. Die Luft im
Schiff war unangenehm warm und feucht und roch so stark nach
Verwesung, als atmete man Verdauungsgase.
Khouri hielt sich den Arm vor den Mund und hatte Mühe, den
Würgereiz zu unterdrücken. »Ilia…«
»Du wirst dich daran gewöhnen. Es ist nicht
schädlich.« Sie holte etwas aus der Tasche.
»Zigarette?«
»Hast du schon einmal erlebt, dass ich einen von den
verdammten Sargnägeln angenommen hätte?«
»Einmal ist immer das erste Mal.«
Khouri wartete, bis Volyova ihr die Zigarette angezündet
hatte, und zog vorsichtig daran. Es schmeckte abscheulich, aber immer
noch um Längen besser als die ungefilterte Luft auf dem
Schiff.
»Schreckliche Angewohnheit«, sagte Volyova
lächelnd. »Aber schreckliche Zeiten fördern solche
Unsitten. Geht’s jetzt wieder?«
Khouri nickte ohne große Überzeugung.
Sie zwängten sich durch enge Tunnel, an deren Wänden
feuchte Sekrete oder Kristallmuster von betörender
Regelmäßigkeit glänzten. Khouri zog sich mit
behandschuhten Händen vorwärts. Da und dort erkannte sie
einen Teil des alten Schiffes wieder – eine Rohrleitung, ein
Schott oder einen Schaltkasten –, aber meistens waren solche
Elemente mehr oder weniger mit ihrer Umgebung verschmolzen oder
grotesk verzerrt. Harte Oberflächen waren in fraktale Strukturen
mit unscharfen grauen Rändern zerfallen, die sich in nichts
auflösten. Schleimige und fettige Substanzen beugten das Licht
der Taschenlampen zu grellbunten Mustern, die einem den Magen
umdrehten. Amöbenähnliche Klumpen schwebten vorbei,
getragen von den Luftströmen, die das Schiff durchzogen –
oder auch gegen den Strom schwimmend.
Durch Schleusen, die mit knirschenden Drehrädern zu
öffnen waren, gelangten sie in den Teil des Schiffes, der noch
rotierte. Khouri war froh über die Schwerkraft, auch wenn sie
einen unerwarteten Nachteil hatte. Jetzt wussten die
Flüssigkeiten und Schleimsekrete, wohin sie fließen
sollten. Sie tropften und krochen in dünnen Rinnsalen von
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