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Die Arche

Die Arche

Titel: Die Arche Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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den
Wänden und sammelten sich auf dem Fußboden, bevor sie den
Weg zu einem Abfluss oder einem Loch fanden. Einige Absonderungen
hatten Stalagmiten und Stalaktiten gebildet, bernsteingelbe und
rotzgrüne Spitzen, die wie Finger vom Boden und von der Decke
aufragten. Khouri vermied es möglichst, sie zu streifen, aber
das war nicht so einfach. Sie bemerkte, dass Volyova keine solchen
Hemmungen hatte. Ihre Jacke zeigte schon nach wenigen Minuten die
Spuren verschiedener Sorten von Schiffsschleim.
    »Nur keine Aufregung«, sagte sie, als sie Khouris Ekel
bemerkte. »Es kann gar nichts passieren. Auf diesem Schiff gibt
es nichts, was einem von uns etwas anhaben könnte. Du…
hm… du hast dir doch die Implantate für den Feuerleitstand
herausnehmen lassen?«
    »Das müsstest du eigentlich selbst am besten wissen. Du
hast sie mir doch entfernt.«
    »Ich wollte nur sichergehen.«
    »Ach ja. Du amüsierst dich wohl königlich,
wie?«
    »Ich habe gelernt, die kleinen Freuden des Daseins zu
genießen, wo ich sie finde, Ana. Besonders in Zeiten tiefer
Existenzkrisen…« Ilia Volyova schnippte ihre Kippe in die
Schatten und zündete sich eine neue Zigarette an.
    Sie gingen schweigend weiter zu einem der Fahrstuhlschächte,
die wie bei einem Wolkenkratzer der Länge nach durch das ganze
Schiff gingen. Wenn das Schiff nicht unter Schub stand, sondern
rotierte, war es viel weniger mühsam, sich entlang der Achse zu
bewegen. Dennoch waren Spitze und Schwanz auch dann noch vier
Kilometer voneinander entfernt, so dass es sinnvoll war, nach
Möglichkeit die Schächte zu benutzen. Khouri sah
überrascht, dass bereits eine Kabine auf sie wartete. Nicht ohne
Herzklopfen stieg sie hinter Volyova ein, aber das Innere sah normal
aus, und die Kabine fuhr halbwegs ruhig an.
    »Die Fahrstühle funktionieren noch immer?«, fragte
sie.
    »Sie gehören zum Hauptsystem des Schiffes«,
erwiderte Volyova. »Du weißt doch, ich habe gewisse
Verfahren, um die Seuche einzudämmen. Sie funktionieren nicht
hundertprozentig, aber zumindest kann ich die Krankheit damit von
allem fernhalten, was nicht zu sehr korrumpiert werden soll.
Gelegentlich hilft mir dabei sogar der Captain. Sieht ganz so aus,
als hätte auch er eine gewisse Kontrolle über die
Transformationen.«
    Damit hatte Volyova endlich das Thema Captain angesprochen. Bis zu
diesem Moment hatte Khouri noch verzweifelt gehofft, alles wäre
nur ein böser Traum, den sie irrtümlich für
Realität gehalten hatte. Aber nein. Der Captain war noch sehr
lebendig.
    »Was ist mit den Triebwerken?«
    »So weit ich feststellen kann, sind sie noch intakt. Aber nur
der Captain kann sie bedienen.«
    »Sprichst du mit ihm?«
    »Ich weiß nicht, ob ›sprechen‹ das richtige
Wort ist. Kommunizieren vielleicht… aber auch das ist eventuell
schon zu viel gesagt.«
    Die Kabine änderte die Richtung und wechselte den Schacht.
Die Fahrstuhlschächte waren meistens durchsichtig, aber die
Kabine sauste über weite Strecken zwischen vollgepfropften Decks
hindurch oder bohrte sich meilenweit durch festes Rumpfmaterial. Hin
und wieder sah Khouri vor dem Fenster einen modrig-feuchten Raum
vorüberfliegen. Meistens konnte sie im schwachen Licht der
Fahrstuhlkabine das andere Ende nicht erkennen. Fünf Räume
waren so groß, dass eine Kathedrale darin Platz gefunden
hätte. Sie musste an die Schreckenskammer mit den vierzig
Weltraumgeschützen denken, die Volyova ihr beim ersten Rundgang
durch die Unendlichkeit gezeigt hatte. Inzwischen waren es
nicht mehr so viele, aber man konnte sicher noch immer eine Menge
Unheil damit anrichten. Vielleicht sogar bei einem Feind wie den
Unterdrückern. Immer vorausgesetzt, der Captain ließ sich
zur Mithilfe überreden.
    »Habt ihr beiden euren Streit inzwischen beigelegt?«,
fragte Khouri.
    »Ich denke, die Tatsache, dass er uns nicht getötet hat,
als er Gelegenheit dazu hatte, sollte als Antwort
genügen.«
    »Und er nimmt dir nicht übel, was du ihm angetan
hast?«
    Zum ersten Mal wirkte Volyova ein wenig verärgert. »Was
heißt hier, was ich ihm ›angetan habe‹, Ana? Das war
keine Strafe, sondern ein Akt der Barmherzigkeit. Ich habe nur…
eine Diagnose gestellt und das entsprechende Heilmittel
verabreicht.«
    »Wobei man sagen könnte, dass die Heilung schlimmer war
als die Krankheit.«
    Volyova zuckte die Achseln. »Er lag im Sterben. Ich habe ihm
ein neues Leben geschenkt.«
    Khouri keuchte auf, als ein Raum voll mit schemenhaften, grotesk
verschmolzenen Gestalten

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