Die Artefakte der Macht 01 - Aurian
den er in seinen blutdurchtränkten Umhang gehüllt hatte. Eine Blutspur führte durch die offene Tür hinter ihm; auf den Steinplatten des Küchenbodens bildete sich bereits eine Lache. Er spürte, wie Aurians Blut ihm warm und klebrig durch die Kleider sickerte. »Oh, ihr Götter«, schluchzte er, und sein Gesicht verzerrte sich vor Angst. »Eilin, ich habe sie getötet!«
Eilin zitterte am ganzen Körper, als sie ihm Aurian abnahm und sanft auf den Küchentisch legte. Er hörte ihr Keuchen, als sie die schreckliche Verletzung erblickte. Die Magusch tastete an Aurians Kehle nach einem Pulsschlag. »Den Göttern sei Dank, sie lebt noch«, murmelte sie. Erst da wagte es auch Forral, einen Blick auf das Mädchen zu werfen. Sein Schwert hatte tief in Aurians Schulter geschnitten, ihr Schlüsselbein zerschmettert und ihr um ein Haar den ganzen Arm abgetrennt. Ihr Gesicht war grau von dem Schock und dem Blutverlust.
Forral sackte in sich zusammen. Während er benommen zu seinem Stuhl hinübertaumelte, schien der Raum vor seinen Augen zu verschwimmen. Zu oft hatte er mitangesehen, wie gute Freunde verstümmelt und getötet worden waren, und er hatte seinen Feinden in der Schlacht weit schlimmere Wunden zugefügt, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken, aber dies war ein Mädchen, ein Mädchen, das er mehr liebte als das Leben selbst. Es war mehr, als er ertragen konnte. »Es tut mir leid. Es war meine Schuld. Ich …«
»Still!« fuhr Eilin ihn an. Sie legte ihre Hände auf die Wunde, und ihre Augen verengten sich, als sie sich darauf konzentrierte, all ihre Energien zu bündeln. »Ich wünschte nur, ich hätte mich mehr mit dem Heilen beschäftigt«, murmelte sie hilflos. Aber während Forral mit angehaltenem Atem zusah, verkleinerte sich der Blutfluß zu einem Rinnsal und erstarb schließlich ganz. Eilin richtete sich auf und drehte sich mit funkelnden Augen zu ihm um. Forral fiel auf die Knie.
»Eilin, es war ein Unfall …«
»Das ist jetzt gleich! Reite nach Nexis, Forral. Hol die Heilerin aus der Akademie! Beeil dich! Es ist immer noch möglich, daß wir sie verlieren!«
Erleichtert, etwas Sinnvolles tun zu können, machte Forral sich schnellstens auf den Weg; der Anblick von Aurians bleichem, verzerrtem Gesicht stand während des ganzen Ritts vor seinem inneren Auge. Sein Pferd stürmte in einem wuchtigen Galopp davon, voller Angst vor diesem wildäugigen Wahnsinnigen, der ihm den Sattel so roh über den Rücken geworfen hatte. Er hatte ihm eins über die Nase gedroschen und den Sattelgurt unbarmherzig angezogen. Dann war er auf seinen Rücken gesprungen und hatte ihn vorwärts getrieben, daß der Schnee nur so stob, weil er das unwegsame Gelände des Kraters unbedingt noch vor dem Ende der Abenddämmerung hinter sich lassen wollte. Der Ritt nach Nexis dauerte normalerweise fünf Tage. Forral hatte die Absicht, es in nur zwei Tagen zu schaffen.
3
Der Sohn des Bäckers
»Hü!« Anvar schnalzte mit den Zügeln und drängte das alte Pferd den zerfurchten, ausgefahrenen Weg entlang, der sich von der Mühle am Fluß den Hügel hinaufschlängelte. Lazy warf den Kopf zurück und protestierte wiehernd dagegen, die schwere Wagenladung Mehl den steilen Hügel hinaufziehen zu müssen. »Mach dir nichts draus«, sagte Anvar zu dem Pferd. »Wenigstens ist dir jetzt warm. Und wenn wir nach Hause kommen, gebe ich dir ein gutes Frühstück.« Er hauchte in seine Hände und schlug sich auf die Oberschenkel, um die steife Kälte aus seinen Fingern zu vertreiben. Der eisige Morgenfrost war ihm in die Knochen gesickert, und das lodernde Feuer der Mühle schien bereits Millionen Meilen weit entfernt zu sein. Aber eine andere Art von Feuer wärmte Anvars Blut, als er an das Lächeln der hübschen Müllerstochter Sara dachte.
Reichtum und Macht der Stadt Nexis lagen in der Hand der reichen Kaufleute, der hochrangigen Krieger der Garnison und des hochmütigen Geschlechts der Magusch. Für das gemeine Volk war das Leben viel schwerer, für die Handwerker und Schneider, die Diener, Arbeiter, die Ladenbesitzer, Kahnführer und die Lampenanzünder, die das Leben der Stadt mit ihren niedrigen, aber wichtigen Arbeiten in Gang hielten. Die Kinder lernten in frühen Jahren notgedrungen, Verantwortung zu übernehmen, und Anvars Vater, ein Bäckermeister aus der Stadt, hatte seinem ältesten Sohn, sobald er alt genug war, den Karren zu fahren, die Aufgabe übertragen, das Mehl zu holen. Obwohl der Weg über die Straße länger
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