Die Artefakte der Macht 01 - Aurian
Was hatte seine Mutter mit den Magusch zu tun, das sie in solche Angst versetzen konnte? Aber sie wollte es ihm nicht sagen, und es blieb ihm auch keine Zeit mehr, es herauszufinden. Er riß sich los. »Es tut mir leid, Mutter.« Leise schlich er sich nach unten, wobei er hoffte, daß er nicht Bern begegnen würde, der immer auf der Suche nach einer Gelegenheit war, ihn in Schwierigkeiten zu bringen. Als er die Straße erreicht hatte, begann er zu laufen, den Hügel hinab in Richtung Fluß. Aus dem offenen Fenster hinter ihm drangen die Schluchzer seiner Mutter.
Anvar lief mit pochendem Herzen durch die stillen, lampenerleuchteten Straßen. Es war ein langer Weg bis zum Fluß, und sein Atem ging stoßweise, als er sich endlich den Lagerhäusern näherte. Er hatte sich für eine Abkürzung entschieden, die ihn zu der Brücke führen sollte, die der Akademie am nächsten war. Es gab nur wenige Lampen in diesem Bezirk, und Anvar hatte Angst in den dunklen Gassen, auf deren schmutzbedeckten Pflastersteinen seine Füße immer wieder ins Rutschen gerieten. Er bedauerte bereits, daß er sich für diesen Weg entschieden hatte. Der Bezirk, in dem die Lagerhäuser lagen, hatte einen schlechten Ruf. Als er an der dunklen, stinkenden Einmündung einer winzigen Gasse vorbeikam, hörte er plötzlich ein Schlurfen, und mehrere zerlumpte Gestalten brachen aus den Schatten hervor. Als sie ihm den Weg abschnitten, konnte er gerade noch seinen Lauf bremsen. Sie umzingelten ihn, rückten näher, und der beißende Gestank ungewaschener Leiber ließ ihn würgen. Im dämmrigen Licht eines mit Lumpen verhangenen Fensters über ihm sah er das Aufblitzen von Messern in ihren Händen, und sein Mund wurde trocken vor Angst.
»Gib uns dein Geld, Junge«, knurrte eine Stimme mit einem unvertrauten Akzent. Anvar wich zurück, bis die Mauer ihn aufhielt.
»Ich – ich habe keins bei mir«, stammelte er. »Bitte laßt mich gehen. Ich will zur Heilerin – es ist ein Notfall.« Jenseits aller Vernunft flackerte Forrals Gesicht vor seinem inneren Auge auf, als er die Worte des großen Mannes wiederholte.
Der Strauchdieb lachte. »Meine Güte, was für ein großer Herr! Auf dem Weg zur Heilerin, hm? Und ohne Geld? Durchsucht ihn, Jungs!«
Anvar wurde zu Boden geworfen. Grobe, knochige Finger durchstöberten seine Kleider und jagten ihm eine Gänsehaut über den ganzen Körper. Er hatte gerade noch Zeit für einen gewaltigen Hilfeschrei, bevor sie begannen, auf ihn einzuschlagen.
Der Alptraum fand ein jähes Ende, als das Klappern von Hufen durch die Gasse hallte. »Berittene!« schrie jemand. »Weg hier!«
Plötzlich war Anvar ganz allein und bemühte sich, zerschunden wie er war, aufzustehen.
Eine Hand packte ihn am Kragen, und er wurde unsanft auf die Füße gerissen. »Hab ich dich erwischt!« Anvar blickte in das ernste Gesicht eines hochgewachsenen Soldaten. »Was hattest du vor, Bursche, hm?« fragte ihn der Mann mit krächzender Stimme.
»Bitte, Herr«, stammelte Anvar, der sich in der eisernen Umklammerung des Mannes wand. »Sie sind auf mich losgegangen. Ich wollte zur Akademie, um die Heilerin …«
Der Soldat brach in lautes Gelächter aus. »Na komm schon, kannst du dir denn keine bessere Geschichte ausdenken? Glaubst du, ich lebe hinterm Mond?« Er zerrte Anvar zum Ende der Gasse, wo an einer eisernen Konsole eine einsame Lampe von der Wand hing. Als er sich Anvar näher angesehen hatte, veränderte sich sein Gesichtsausdruck. »Du kommst nicht hier aus der Gegend«, stellte er anklagend fest. »Was hat ein Junge wie du mitten in der Nacht in diesem Bezirk verloren? Bist du denn nicht ganz bei Trost?«
Zögernd erzählte Anvar ihm von seinem Großvater.
Der Soldat ließ seinen Kragen los. »Junge«, sagte er sanft, »die Lady Meiriel gibt sich nicht mit Leuten wie deinem Großvater ab. Weißt du denn nicht, wie die Magusch sind?«
»Ich muß es wenigstens versuchen«, sagte Anvar. »Warum sollte sie ihm nicht helfen wollen? Vor einiger Zeit habe ich diesen Mann namens Forral getroffen und …«
»Du kennst Forral?« Ein Ausdruck tiefen Respekts huschte über das zerfurchte Gesicht des Soldaten.
»Wir sind uns auf der Straße begegnet – er hat mein Pferd genommen. Er sagte, er wolle zur Heilerin, um einem kleinen Mädchen das Leben zu retten. Wenn sie das tun konnte, warum sollte sie dann nicht auch meinem Großvater helfen?«
Der Soldat seufzte. »Junge, weißt du denn nicht, wer Forral ist? Er ist eine lebende Legende
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