Die Artefakte der Macht 01 - Aurian
schwingen?
»Aurian?« Anvars Augen blickten ängstlich.
»Mir geht es gut.« Die Magusch umklammerte ihren Stab noch fester und tat ihr möglichstes, um ihre melancholischen Gedanken abzuschütteln.
An die Stelle des beunruhigenden, roten Lichtes im letzten Raum war nun ein sanftes, bernsteinfarbenes Glühen getreten, das einem Netzwerk leuchtender Adern entströmte, die sich durch den glatten, nahtlosen Stein des Durchgangs zogen. Die Luft strich ohne jeden Hauch von Feuchtigkeit oder Moder über ihre Gesichter, und die Wände sowie der Fußboden zeigten kaum Spuren von Spinnenweben oder Staub. Das irritierende Summen war während ihres Aufstiegs immer schwächer geworden. Aurian stellte fest, daß sie sich ein wenig entspannte. Sie hatte gar nicht gemerkt, wie sehr das hohe Summen sie gestört hatte, bis es endlich verschwunden war.
»Weißt du«, sagte sie zu Anvar, »es ist wie eine Wendeltreppe, nur daß es keine Stufen hat. Ich schätze, mit Stufen hätten die Drachen ihre Schwierigkeiten gehabt. Aber wenn dieser Korridor einen Rückschluß auf ihre Ausmaße zuläßt, dann müssen sie noch größer gewesen sein, als ich dachte.«
Er nickte düster. »Und noch mächtiger, als wir gedacht haben, wenn sie diesen Ort und dieses Metallgeschöpf schaffen konnten. Wir sollten sehr vorsichtig sein.«
Es war nur allzu leicht, jegliches Zeitgefühl zu verlieren, während sich der immer gleich aussehende Tunnel nach oben schraubte. Nach einer Weile kamen sie an Räumen vorbei, die links und rechts vom Tunnel lagen. Zu Aurians Enttäuschung waren einige mit großen Türen aus Metall oder Kristall verschlossen, die weder Gewalt noch Magie nachgaben. Andere Räume waren türlos oder standen offen, aber ob sie nun groß oder klein waren, alle waren vollkommen leer, und ihre einzige Beleuchtung stammte von dem schummrigen Steinglühen des Durchgangs, das durch die breiten Eingänge schien. Shia hatte keine weiteren Anzeichen für Magie zu vermelden.
»Was für ein lächerlicher Ort ist das hier?« beklagte Aurian sich, während sie wieder einmal eine verlassene Kammer erkundeten. »Was hat das alles für einen Sinn?« Sie fühlte sich bleischwer vor Erschöpfung, und ihre Kopfschmerzen waren zurückgekehrt.
»Wie, zum Kuckuck, soll ich das wissen?« fuhr Anvar sie an. Dann sackte er neben ihr zusammen und rieb sich mit den Knöcheln seiner Hände die angeschwollenen Augen.
Die Magusch warf einen scharfen Blick auf seine zusammengesunkene Gestalt und bemerkte zum ersten Mal, daß Bohan genauso müde aussah. »Wie lange ist es her, daß ihr das letzte Mal geschlafen habt?«
Er stöhnte. »Tage – ich erinnere mich nicht genau. Nicht, seit du verschwunden bist.«
»Anvar! Warum hast du mir das nicht gesagt?« Aurian nahm seinen Arm und führte ihn in den hinteren Teil eines kleinen Raumes, wo sie ihn an eine der Wände setzte. »Dieses Zimmer hier ist so gut wie jedes andere. Wir werden hier Rast machen.«
Sie nahmen jeder einen kleinen Schluck Wasser aus dem, dahinschwindenden Vorrat ihres Wasserschlauches, und Anvar goß ein wenig davon in Aurians gewölbte Hände, damit Shia es auflecken konnte. Die Magusch bestand darauf, die erste Wache zu übernehmen. »Ich habe in der ganzen Zeit, in der ihr nach mir gesucht habt, gar nichts getan«, sagte sie zu ihren Freunden. »Es ist nur fair.« Keiner hatte die Energie, ihr zu widersprechen.
»Weck als nächstes mich«, sagte Shia zu ihr. »Wir können uns die Wache teilen. Ich brauche weniger Ruhe als ihr schwachen Zweibeiner.«
Als alle anderen fest eingeschlafen waren, setzte Aurian sich mit griffbereitem Schwert an den Eingang. Sie begann, die Zeit zu zählen, indem sie die Sekunden mit ihrem Dolch auf ihre Handfläche schlug und jedesmal, wenn eine Minute vergangen war, die Hand wechselte – aber schon bald gab sie wieder auf. Das Zählen lullte sie ein, und sie stellte fest, daß sie immer wieder einnickte. Statt dessen dachte sie an ihr Kind. Es mußte jetzt etwa fünf Monate alt sein, obwohl es schwer war, den genauen Zeitpunkt seiner Zeugung zu bestimmen. Den Maguschfrauen wurde es früh beigebracht, die monatlichen Zyklen zu unterdrücken, die den Sterblichen eine solche Last waren. Für gewöhnlich stellten sie ihre Schwangerschaft nach dem zweiten Monat fest, und Aurian glaubte, daß es bei ihr ebenfalls so gewesen war. Und ganz gewiß hatte sie die Gegenwart des Kindes gespürt, nachdem man sie darauf aufmerksam gemacht hatte. Es wird jetzt nicht mehr
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