Die Artefakte der Macht 01 - Aurian
bevor ich das herausfand. Aber wie dem auch sei, es hat mich jedenfalls erwischt.« Sie schluckte und versuchte ihre Stimme unter Kontrolle zu bekommen. Anvar zog sie fester an sich, und sie schenkte ihm ein dankbares Lächeln. »Ich habe gekämpft … An das, was danach geschehen ist, kann ich mich nicht erinnern. Es schien nur einen Bruchteil einer Sekunde zu dauern, bevor Shia mir sagte, daß ich dich geschlagen hätte.« Sie hob ihre Hand und fuhr über eine leuchtende Schramme auf Anvars Wangenknochen. »Ich habe dir weh getan. Anvar, das tut mir leid.«
»Das warst nicht du, das war Harihn.«
»Oh, Anvar, ihr habt euch doch nicht schon wieder gestritten?« Aurian war entsetzt. »Ich weiß, daß ihr einander nicht mögt, aber …«
»Warte, bis du die ganze Geschichte gehört hast.« Unterstützt von Shia und von einem gelegentlichen, bekräftigenden Nicken Bohans, erzählte Anvar ihr, was geschehen war. Aurian unterbrach ihn einmal mit erstauntem Entzücken, als er berichtete, wie er herausfand, daß er und Shia miteinander sprechen konnten, und ein andermal mit einem schrecklichen Fluch, als sie hörte, wie Harihn ihre Freunde dem sicheren Tod überlassen hatte. Als ihr Zorn sich soweit beruhigt hatte, daß sie auch den Rest der Geschichte hören konnte, schauderte sie, als Anvar ihr von dem Kampf mit dem Monster berichtete und erzählte, wie Shia beinahe in den Tiefen der Schlucht umgekommen wäre. Aber als Anvar begann, ihr die Überquerung der unsichtbaren Brücke zu schildern, war es einfach zuviel.
»Erzähl es mir nicht. Diesen Teil eurer Geschichte möchte ich lieber nicht hören, wenn du nichts dagegen hast«, entschuldigte sie sich. Als Anvar mit seiner Geschichte fertig war, sah Aurian ihre Freunde an, zutiefst bewegt von ihrem Mut und ihrer Treue. »Meine lieben Freunde, ihr seid so tapfer gewesen … Ich weiß gar nicht, wie ich euch danken soll …« Ihr fehlten die Worte, und sie mußte sich eine Träne aus dem Gesicht wischen.
»Solange es dir nur gutgeht«, sagte Anvar, »dir und dem Kind.«
Aurian sah ihn voller Zuneigung an. »Wir scheinen unversehrt zu sein dank euch dreien. Die Frage ist, was machen wir jetzt? Dieser Mistkerl Harihn hat uns hier festgesetzt. Wenn wir in diesem Tunnel nicht irgend etwas finden, das uns hilft, werden wir verhungern. Außerdem, Anvar …« Ihre Augen leuchteten vor Erregung. »Weißt du denn nicht, was dieser Ort hier sein muß? Die Kristalle, das Metallding, das unempfänglich für Magie ist – das alles weist auf eines hin: Wir haben die verlorene Zivilisation des Drachenvolkes gefunden! Es muß hier Artefakte geben – Wissen, Waffen, und vielleicht sogar das Schwert des Feuers selbst –, und das alles könnten wir gegen Miathan einsetzen.«
Anvar schüttelte verzweifelt den Kopf. »Du gibst niemals auf, nicht wahr? Und was ist, wenn wir noch mehr von diesen Spinnenungeheuern finden? Was ist, wenn es noch Schlimmeres hier gibt?«
»Glaubst du, ich hätte nach meiner letzten Erfahrung keine Angst vor diesen Spinnenwesen?« Aurian zuckte mit den Schultern. »Aber um ehrlich zu sein, Anvar, sehe ich keine andere Möglichkeit. Wir können gewiß nicht auf demselben Weg zurückgehen, auf dem wir hergekommen sind. Der einzige Weg führt hindurch.«
Obwohl sie sich alle nach etwas Schlaf sehnten, beschlossen sie, sofort weiterzugehen. Sie hatten nur wenig Nahrung bei sich, und trotz ihres Mangels an Wissen über diese Bergfeste konnten sie nichts gewinnen, indem sie sich noch länger hier aufhielten. Der einzige Ausgang aus dem langgestreckten Raum war eine hohe, gewölbte Öffnung am anderen Ende. Eine breite Rampe hob sich mit einer sanften Steigung zu einem Tunnel hin, dessen Dach spitz zulief wie der Torbogen und hoch über ihren Köpfen lag. Shia ging voran, die beiden Magusch folgten ihr gemeinsam in unausgesprochener Übereinstimmung. Bohan bildete mit gezücktem Schwert die Nachhut. Anvar hatte Aurian ihre Ausrüstung zurückgegeben, und sie war erleichtert, das vertraute Gewicht ihres Schwertes wieder auf ihrer Hüfte zu spüren. Liebevoll strich sie über den abgenutzten Griff. Ach, mein Coronach, dachte sie. Wieviel wir schon gemeinsam durchgemacht haben, du und ich. Ihre Kehle war plötzlich wie zugeschnürt, als sie sich an diesen Tag erinnerte, an ihren lange vergangenen Geburtstag, als Forral ihr das Schwert geschenkt hatte. Unbewußt fuhr ihre Hand zu ihrem Bauch. Würde ihr Kind lange genug leben, um jemals ein Schwert zu
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