Die Artefakte der Macht 01 - Aurian
oder zu sagen. Sie sehnte sich nach der Zuflucht ihres eigenen Zimmers und nach der starken, tröstlichen Gegenwart Forrals.
Um ihren schwindenden Mut ein wenig aufzurichten, klammerte Aurian sich fest an die harte, schlanke Form ihres Schwerts. Jede Nacht nahm sie die in der Scheide steckende Klinge mit ins Bett, denn das war alles, was ihr von Forral geblieben war. Sobald sie sich soweit von ihren Verletzungen erholt hatte, daß sie laufen konnte, war sie zu der Lichtung gegangen, wo sie so viele glückliche Stunden im Training verbracht hatten. Ihr kostbares Schwert lag unberührt auf dem Boden, dort, wo es hingefallen war, und seine lederne Scheide war bereits steif und verlor schon ihre Farbe; die Klinge war mit Rostflecken übersät. Von Schluchzern geschüttelt hatte Aurian ihr Schwert vorsichtig aufgehoben und nach Hause gebracht. Dann hatte sie Stunden darauf verwandt, sowohl Klinge als auch Scheide mit größter Sorgfalt zu ölen, wobei sie immer wieder innehalten mußte, um sich die Tränen abzuwischen, die ihr Werk zu ruinieren drohten. Und trotz der Einwände Meiriels und ihrer Mutter hatte sie sich geweigert, sich von Coronach zu trennen, und schon der bloße Vorschlag hatte eine so heftige Reaktion ausgelöst, daß die beiden nachgaben und ihr erlaubten, es zu behalten. Aurian, die sich nun fest an das Schwert klammerte, weinte sich in den Schlaf, wie sie es so oft getan hatte seit jener Nacht, in der Forral sie verlassen hatte.
In ihrem Quartier lauschte Meiriels Aurians leisem Weinen und bedauerte, daß es notwendig gewesen war, das Kind auf solche Weise aus ihrem vertrauten Zuhause zu reißen. Als es endlich still wurde, schlich sie sich an Aurians Bett, um sicherzugehen, daß das Kind wirklich schlief. Dann beauftragte sie einen Diener damit, auf ihren Schützling achtzugeben, warf sich einen Umhang über die Schultern und machte sich über den frostversilberten Hof auf den Weg zum Maguschturm. Das rote Licht, das hoch hinter den blutrot verhängten Fenstern des höchsten Stockwerks brannte, sagte ihr, daß der Erzmagusch in seinen Gemächern war.
»Wie geht es mit dem Kind, Meiriel?« Der Erzmagusch war wie alle Abkömmlinge seines Volkes sehr groß. Mit seinem langen, silbrigen Haar, seinem dichten Bart, seiner knochigen Hakennase, seinen dunklen, brennenden Augen und seinem hochmütigen Gehabe sah er wie der Inbegriff des mächtigsten Magusch der Welt aus. Seine scharlachrote Robe fegte über den kostbaren Teppich, als er das Zimmer durchquerte, um Meiriel einen Kelch Wein einzuschenken. Als sie Platz nahm, bemerkte die Heilerin auch die schlanke, in ein silberfarbenes Gewand gehüllte Gestalt Eliseths, die neben dem Fenster im Schatten saß. Meiriel runzelte die Stirn. Sie hatte die eiskalte, ränkevolle Wettermagusch nie gemocht und hatte ihr auch niemals über den Weg getraut.
»Ich dachte, dies sollte eine private Besprechung sein«, wandte sie ein.
Miathan reichte ihr einen bis zum Rand gefüllten Kristallkelch. »Nun komm schon, Meiriel, sei nicht töricht«, schalt er sie. »Seit wir deine Nachricht erhalten haben, hat Eliseth mir geholfen, Pläne zu schmieden. Wenn das, was du sagst, stimmt, hat Geraints Kind Talente, die uns nützlich sein können; Talente, die eine ganz spezielle Handhabung erforderlich machen. Ich brauche dich doch wohl kaum daran zu erinnern, daß wir heutzutage auf die äußerste Loyalität aller Magusch angewiesen sind. Unser Volk ist dahingeschwunden. Der Maguschkodex schränkt unsere Kräfte ernstlich ein, und die Uneinigkeit unter diesen erbärmlichen Sterblichen wird immer stärker. Noch kontrolliere ich die Stimme der Garnison im Rat der Drei, aber Rioch wird über kurz oder lang in den Ruhestand treten, und unter seinen Kriegern gibt es keinen ausreichend entgegenkommenden Nachfolger. Der neue Repräsentant der Kaufleute, dieser rüpelhafte Emporkömmling Vannor, macht mir jetzt schon Schwierigkeiten.«
Der Erzmagusch runzelte die Stirn und trank einen Schluck Wein. »Da eine Maguschfrau während der Schwangerschaft ihre Kräfte verliert, hat es für unser Geschlecht immer nur wenig Nachwuchs gegeben, und jetzt werden uns überhaupt keine Kinder mehr geboren. Wir sind den Sterblichen zahlenmäßig ernsthaft unterlegen. Wenn man Eilin nicht mitzählt, die sich weigert, zu uns zurückzukehren, sind wir nur noch sieben Magusch: du und ich, Eliseth und Bragar, die Zwillinge und Finbarr. Und von diesen sieben scheinen die Zwillinge obendrein noch
Weitere Kostenlose Bücher