Die Artefakte der Macht 02 - Windharfe
ganz anderes als die Suppe und der Haferbrei, die das einzige gewesen waren, was sie mit den zahnlosen Kiefern der Alten hatte essen können. Die Magusch aß mit großem Appetit, aber mehr noch als das Essen kostete sie den Gedanken daran aus, daß sie wieder einmal ein williges Werkzeug haben würde, ein Werkzeug, dem sie mit Hilfe ihres falschen, mühelosen Charmes ihren Willen aufzwingen würde. Eliseth lächelte. Sie war sich sicher, daß die kleine Magd sich im Endeffekt noch als sehr nützlich erweisen würde. Das taten die Sterblichen meistens.
Eilins Tal fing die üppigen Farben des Sonnenuntergangs auf wie eine Handvoll Juwelen. Am Rande der glitzernden Wasser des Sees tummelte sich ein prachtvolles Einhorn, das mit seinen stampfenden Hufen einen wie tausend Sterne funkelnden Sprühregen aufwirbelte und mit seinem silbernen Horn einen Regen von Diamanttröpfchen durch die Luft schoß. D’arvan beobachtete Maja mit einem Lächeln. Bei den Göttern, sie war atemberaubend! Das schönste Geschöpf, das je gelebt hatte, und er war der einzige, der das Privileg genoß, es zu sehen – und doch hätte er dieses Wunder auf der Stelle dafür eingetauscht, seine Maja zurückzubekommen. Ihr herzliches Lachen und ihren Sinn für Humor; ihren unverblümten, gesunden Menschenverstand, in dem immer auch so viel Mitleid für andere lag; ihre schlanke, drahtige Gestalt mit den starken, sonnengebräunten Gliedern; ihr glänzendes, dunkles Haar, das in Kriegermanier zu festen Zöpfen geflochten war oder in sanften Wellen offen auf einem Kissen lag …
Als sei auch er gerade erst aus den Wasser des Sees gestiegen, schüttelte D’arvan sich, um sich von den Träumen der Sehnsucht zu befreien, während das Einhorn langsam näher kam. Das sich allmählich verdüsternde Zwielicht warf blausilberne Schatten auf dem mondgesponnenen Fell. D’arvan legte seine Arme um Majas Hals, und die beiden – der Magusch und das Zauberwesen – umarmten einander und teilten einen Augenblick lang ihre Einsamkeit. Wie lange würde diese elende Trennung noch dauern? fragte sich D’arvan. Er und Maja taten alles, worum sein Vater, der Waldfürst, sie gebeten hatte. Seine Magie, von der er vermutete, daß sie durch die uralten Kräfte der Phaerie zugenommen hatte, hatte Eliseths tödlichen Winter von dem Tal ferngehalten, das wie ein einsamer Smaragd in dem von eisernen Klauen umschlossenen Land ringsum erstrahlte. Bäume, wach und aufmerksam, füllten das große Becken von einem Rand zum anderen und spendeten den Feinden des Erzmagusch Zuflucht, Schutz und Nahrung. D’arvan und die Wölfe der Lady Eilin kontrollierten das Tal und beschützten diejenigen, die in seinem Innern lebten, vor Eindringlingen und Gefahren. Maja bewachte das Seeufer und die hölzerne Brücke, die zu der Insel und ihrem verborgenen Geheimnis führte – dem legendären Flammenschwert, in uralter Zeit vom Drachenvolk geschmiedet, um das größte der Artefakte der Macht zu werden.
D’arvan seufzte. Wäre dieses verfluchte Schwert nicht … Aber seine Wünsche waren nutzlos. Es gab sie eben, diese Waffe der Hohen Magie, und bis der Eine, für den sie geschmiedet war, kam, um sie zu holen, so wie es vor langer Zeit vorhergesagt worden war – so lange mußten er und Maja ihre einsame Wächterschaft erfüllen. Der Magusch fragte sich wie so oft, wer der Träger des Schwertes sein würde. Es war ja alles gut und schön, dachte er, solange man davon ausgehen konnte, daß er auf unserer Seite stehen wird. Aber es könnte jeder sein! Was ist, wenn es sich herausstellt, daß es der Erzmagusch ist? D’arvans Eingeweide zogen sich bei diesem Gedanken vor Entsetzen zusammen.
Maja – oder, um genau zu sein, das Einhorn – versetzte ihm einen kräftigen Stoß in die Magengegend, so daß er zurücktaumelte und Mühe hatte, das Gleichgewicht zu halten. »Na schön«, sagte D’arvan zu ihr. »Ich weiß; ich verschwende nur meine Zeit mit diesen törichten Gedanken, während du einen letzten Blick auf deinen Freund Hagorn werfen willst, bevor er aufbricht.«
Die Dunkelheit senkte sich herab, und alles war still bis auf das rhythmische Quaken der Frösche in den Binsen. Geisterhafte Ranken aus silbernem Nebel wirbelten über die dunkle, glatte Oberfläche des Wassers. D’arvan hielt den Stab der Lady Eilin empor, und die Bäume teilten sich vor ihm, um ihre belaubten Häupter wie zu einer Huldigung über den Pfad zu neigen, den sie geschaffen hatten. Gemeinsam ließen sie den
Weitere Kostenlose Bücher