Die Artefakte der Macht 02 - Windharfe
einige Zeit später, endlich wieder an Leib und Seele gereinigt, aus dem Wasser gestiegen war, kehrte Eliseth in ihre Schlafgemach zurück und legte ein loses Gewand aus dicker, weißer Wolle an. Dann beschwor sie eine warme Brise herauf, um die letzte Feuchtigkeit aus ihrem Haar zu vertreiben, und rollte sich schließlich auf den weißen Samtkissen ihres Sessels am Fenster zusammen, um ihre silbernen Haarsträhnen zu bürsten.
Es würde eine Weile dauern, bis die grimmigen Wolken ihres Winters wieder an ihren Platz über Nexis zurückkehrten. In der Zwischenzeit schien der Himmel das Beste aus seiner augenblicklichen Chance machen zu wollen. Ein spektakulärer Sonnenuntergang überflutete den Hof der Akademie mit honigfarbenem Licht und kühlen, blauen Schatten und verwandelte das zerschmetterte Gerippe ihres Wetterdoms in Feuer und dunkelrotes Blut. Bragars Blut . Bei der Erinnerung an ihr Versagen und ihre Schande sog Eliseth scharf die Luft ein. »Warte nur, Aurian«, fauchte sie wütend. »Eines Tages werde ich meine Rache bekommen!«
Die topasfarbene Pracht des Sonnenuntergangs verblaßte in einem Zwielicht, das zuerst die Farbe von Saphiren und dann die von Amethysten annahm. Zu Eliseths Erleichterung zog die Nacht nun ihren schattigen Mantel über Nexis und machte die Zerstörungen im Hof unsichtbar. An dem tiefen Himmelsgewölbe über ihr tauchten die ersten Diamantspitzen der Sterne auf.
»Lady Eliseth? Bist du hier?« Sie hörte ein schüchternes Klopfen an der Tür ihres Schlafgemachs.
»Wie kannst du es wagen , mich zu stören!« Die Magusch riß die Tür auf und stürzte sich auf das zerlumpte Mädchen, das auf der anderen Seite stand.
»Aber Lady, dein Abendessen …« Ihre Worte endeten mit einem Wimmern, als Eliseth ihr ins Gesicht schlug.
»Keine Widerworte, du Gassengöre!« zischte sie. Das Mädchen ballte die Fäuste, und hinter den fettigen Locken ihres Haares blitzten ihre Augen trotzig auf. Eliseth hob die Augenbrauen. Es sah so aus, als hätte sie den kleinen Fratz unterschätzt! Was für eine nette Abwechslung es sein wird, ihren Willen zu brechen und sie mir gefügig zu machen, überlegte sie. »Wie heißt du, Kind?« fragte sie.
»Inella, Lady«, murmelte die Kleine.
»Sprich lauter, Mädchen! Und sag mir, warum habe ich dich noch nie zuvor hier gesehen?«
»War früher nicht hier.«
Es juckte Eliseth in den Fingern, sie wieder zu schlagen, aber sie hielt ihr Temperament im Zaum. Sie wollte, daß das Mädchen sie fürchtete und respektierte, aber sie brauchte auch seine Treue. Mit einiger Mühe gelang es Eliseth, ein Lächeln hervorzubringen. »Bist du hungrig, Kind?« Das Mädchen nickte, und ihre großen Augen hefteten sich auf die Servierschalen, die sich auf Eliseths Essenstablett drängten.
Eliseths Mund verzog sich zu einem zuckenden, kleinen Lächeln, als sie die Speisen auf dem Tablett teilte und sich zunächst einmal mit großzügigen Portionen von dem Fleischeintopf und dem gedämpften Gemüse bediente. Aber sie ließ in den zugedeckten Schalen genug übrig, damit das halb verhungerte Kind ebenfalls noch satt werden konnte. Dann nahm sie eine der süßen Apfelpasteten, die mit Nelken und Zimt gewürzt waren und ließ die andere für Inella übrig. »Hier, Kind.« Sie gab ihr das Tablett zurück. »Nimm das mit in eine stille Ecke und iß dich satt – so, wie du aussiehst, bekommst du von Janok wohl ziemlich kleine Portionen. Melde dich morgen früh gleich wieder hier bei mir, und dann kümmern wir uns darum, die scheußlichen Lumpen, die du trägst, durch Besseres zu ersetzen.«
Der stumpfe, widerwillige Blick war aus Inellas Gesicht verschwunden. Es sah so aus, als hätte sie Eliseths übellaunige Ohrfeige bereits vergessen. »Oh, Lady, ich danke dir!« Die Augen des Kindes strahlten vor Dankbarkeit, als sie das dargebotene Tablett entgegennahm, das sich gefährlich zur Seite neigte, als sie einen Knicks machte. Eliseth fing es gerade noch rechtzeitig auf, bevor die Schalen zu Boden rutschen konnten. »Und jetzt weg mit dir«, sagte sie. »Genieß dein Abendessen, Kind – und wenn du dich wieder bei Janok meldest, sag ihm, daß ich dich von jetzt an als meine persönliche Magd haben will.«
Als das Mädchen, das sich unablässig weiter bedankte, verschwunden war, setzte Eliseth sich an den Tisch, um ihr erstes wohlschmeckendes Mahl zu genießen, seit Miathan sie mit der Gestalt des häßlichen, alten Weibes geschlagen hatte. Es war eine gute, solide Kost – etwas
Weitere Kostenlose Bücher