Die Artefakte der Macht 02 - Windharfe
unheimlich.«
»Alle Himmelsleute sind mir unheimlich«, pflichtete sein Freund ihm bei. »Warum hat sich der Prinz mit ihnen eingelassen? Und wenn er dieser nordländischen Hexe auflauern wollte, warum konnte er nicht einfach ein Schwert in sie hineinrammen, und die Sache war erledigt? Dann wären wir mittlerweile auf dem Gebiet der Xandim, statt uns in dieser verfluchten Wildnis zu Tode zu frieren. Wenn du mich fragst, hat Harihn den Verstand verloren. Er war nicht mehr derselbe, seit wir die Wüste verlassen haben.«
Sein Freund brachte ihn hastig zum Schweigen. »Paß auf, was du sagst, Dalzor! Wenn du bei solchen verräterischen Reden erwischt wirst, bist du ganz schnell deinen Kopf los. Außerdem sollten wir jetzt besser zusehen, daß wir die Tiere von ihren Lasten befreien und sie für die Nacht fertigmachen. Was ist, wenn der Hauptmann herkommt, und wir haben noch nicht einmal angefangen? Mir ist es jedenfalls verflucht noch mal zu kalt, um etwas von meiner Haut an die Peitsche zu verlieren.«
Er ging zu den in Reih und Glied stehenden Pferden und machte sich mit tauben Fingern daran, Schnallen zu lösen und die Lasten, die die Pferde getragen hatten, zu Boden zu werfen. Immer noch vor sich hinbrummelnd, nahm sein Freund die Arbeit am anderen Ende der Reihe auf, dort wo Shia stand. Die Tiere waren ruhelos und ihre Felle feucht von Angstschweiß, da sie die Katze in der Nähe witterten. »Was ist bloß in die Tiere gefahren?« murmelte Dalzor. Als er sich dem Pferd näherte, das ihm am nächsten stand, fuhr es herum, bäumte sich schnaubend auf und stieß ihn der Länge nach in den niedergetrampelten Schnee. Fluchend versuchte er, auf dem glatten Boden aufzustehen, aber es war zu spät.
Shia war wie der Blitz über ihm, und ihre Zähne bohrten sich in seine Kehle. Dann war sie plötzlich mitten unter den Pferden und Maultieren, fauchend und wild mit den Klauen um sich schlagend. Die verzweifelten Geschöpfe schrien und bäumten sich auf, und die Panik verlieh ihnen die Kraft, die Pflöcke, an denen sie festgebunden waren, aus dem Boden zu reißen. Sie liefen auseinander – einige zurück nach unten ins Tal, aber die meisten flohen, wie Shia bemerkte, direkt durch den Paß. Sie würde ihr Pferdefleisch also doch noch bekommen!
Der andere Wachposten stürzte um Hilfe schreiend davon. Der Traum wurde urplötzlich lebendig, und der Schnee auf dem Hügel überzog sich mit glänzend schmutzigem, gelbem Licht, als die Tür aufschwang. Bedauernd verabschiedete sich Shia von ihren Plänen für den zweiten Wachposten. Mit einem Satz war sie wieder an der Stelle, an der sie den Stab zurückgelassen hatte. Sie schloß ihr Maul um das verhaßte, magische Ding und schoß wie ein Pfeil den Paß hinunter. Sie gratulierte sich; sie hatte ihnen erlaubt, den größten Teil des Essens abzuladen, denn sie wollte nicht, daß ihre Freunde Hunger leiden mußten, aber ihr Angriff hatte den Feind wirksam im Turm festgesetzt. Wäre Shia ein Mensch gewesen, hätte sie von einem Ohr zum andern gegrinst. Der Prinz und seine Männer saßen an diesem trostlosen, feindlichen Ort fest – und wenn Shia mit Anvar zurückkehrte, würde sie genau wissen, wo sie zu finden waren.
Trotz seiner Entschlossenheit, aus der Nähe des Turms zu verschwinden, war Schiannath geblieben, unfähig, sich dieses Geheimnis entgehen zu lassen. Warum kämpften die Khazalim gegen ihre eigenen Leute? Und was, im Namen der Göttin, hatte das abscheuliche Volk der Geflügelten mit der ganzen Sache zu tun? Da es mittlerweile offensichtlich war, daß niemand den Flüchtenden verfolgen würde, lauerte der Gesetzlose immer noch hinter seinem Felsbrocken und ließ den Turm keinen Augenblick lang aus den Augen. Die Kampfgeräusche waren verklungen, und nach einer Weile sah er die Geflügelten aufbrechen; zwischen sich trugen sie ein Netz mit einem länglichen Bündel darin. Sie flogen nach Nordwesten, Richtung Aerillia. Aha – sie nahmen einen Gefangenen mit sich! Die Form des Bündels war nur allzu vertraut. Schiannath schüttelte den Kopf. Leute, die vor den Khazalim flohen? Und vor den Geflügelten? Was genau ging da eigentlich vor? »Vergiß es, Schiannath«, murmelte er. »Es gibt wichtigere Dinge, über die du nachdenken mußt. Wie zum Beispiel über die Frage des Überlebens und die Vorräte, die die Khazalim auf diesen Maultieren gelassen haben!«
Der Aufruhr unter den Pferden bedeutete eine Überraschung für Schiannath. Er hatte sich Zeit gelassen und
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