Die Artefakte der Macht 03 - Flammenschwert
wollte.
»Vater – o Vater!« Ohne zu wissen, wie sie dort hingekommen war, kniete sie plötzlich vor dem Bett und schluchzte herzzerreißend in die kühle Seide der Decke. Ihre Tränen, einmal losgelassen, ließen sich nun nicht mehr aufhalten. Ohne einen Gedanken an die Gefahr, in der sie selbst schwebte, überließ sich Zanna ganz ihrer Trauer, und ihr Körper erbebte unter heftigen Schluchzern, während sie den Vater betrauerte, den zu retten sie zu spät erschienen war.
»Was … wer … Zanna?«
Aber es war nicht seine Stimme, die ihren Kummer als erstes durchdrang – es war seine kalte, schwache Hand, die ihr über das zerzauste Haar strich. Zanna sprang mit einem Entsetzensschrei auf den Lippen zurück, taumelte und fiel hart auf den Boden. Dann blickte sie auf und sah ihren Vater an, der sich kraftlos auf einen Ellbogen stützte und mit trüben Augen zu ihr hinunterschaute.
»Es ist Zanna. Was machst du denn hier?« krächzte er. »Ich dachte, ich träume …«
»Und ich dachte, du wärst tot!« rief Zanna, die sich noch immer ein wenig davor fürchtete, ihn anzusprechen. Sie konnte kaum glauben, daß ihr Vater wirklich da war, daß er noch lebte und mit ihr sprach, daß er kein Geist war, den sie da sah und hörte.
Der Hauch eines Lächelns ließ das hagere Gesicht des Kaufmanns für einen Augenblick weicher werden. »Nein, mein Liebes, ich bin nicht tot – obwohl ich fast wünschte, ich wäre es.«
»Das darfst du nicht sagen!« Zanna spürte, wie heißer Zorn in ihr aufwallte. »Verdammt, wenn du nur wüßtest …«
»Es tut mir leid.« Er streckte die Hand aus, um sie in die Arme zu nehmen – und fiel schlaff auf sein Lager zurück. Sein Gesicht wurde knochenbleich vor Schmerz, als er versuchte, die verletzte Hand zu bewegen.
Zanna flog an seine Seite und brauchte all ihre Kraft, um ihn hochzuziehen und mit Hilfe der Kissen aufzustützen. Schweiß trat Vannor auf die Stirn, und Zanna sah, wie er die Zähne zusammenbiß, um nicht laut aufzuschreien – damit sie nicht bemerkte, wie sehr ihm jede Bewegung weh tat. Sie umarmte ihn, so fest sie es wagte; so glücklich war sie, ihn endlich wiederzusehen, daß sie am liebsten wieder in Tränen ausgebrochen wäre – aber jetzt, da sie wußte, daß er noch lebte, gab es drängendere Angelegenheiten – wichtigere Dinge sogar, als herauszufinden, was ihm die Magusch angetan hatten. Es blieb ihnen so entsetzlich wenig Zeit, und verletzt wie ihr Vater war, wie sollte es Zanna da gelingen, sie beide aus der Akademie herauszuschaffen?
»Ist da irgendwo Wasser?« flüsterte Vannor. Zanna beeilte sich, einen Krug herbeizuholen, und fügte dann einem Impuls gehorchend einen Spritzer von dem starken Schnaps hinzu, den sie in einer Karaffe auf dem Nachttischchen entdeckt hatte. Dann hielt sie Vannor den Becher hin und stellte, während er trank, mit einiger Erleichterung fest, daß ein wenig Farbe in sein Gesicht zurückkehrte.
»Vater«, sagte sie drängend, »hör mir gut zu. Ich bin hier eingedrungen, um dich rauszuholen – das ist unsere einzige Chance zu fliehen, aber wir müssen uns beeilen. Ich habe …« Aber die Worte blieben ihr in der Kehle stecken. Wie konnte sie ihrem Vater, der sie immer noch als kleines Mädchen betrachtete, erklären, daß sie in dieser Nacht zwei Männer getötet hatte und daß sie beide flüchten mußten, bevor irgend jemand die Leichen fand? »Weißt du«, improvisierte sie, »die Lady Eliseth ist in die Stadt gegangen, aber sie könnte jeden Augenblick zurückkehren, und wir dürfen keine Zeit verlieren. Wenn ich dir helfe, glaubst du, du könntest dann gehen?«
Ein altes, wohlvertrautes Glitzern trat in die Augen ihres Vaters. »Um aus diesem verfluchten Schlangenloch herauszukommen? Ich würde auf den Händen hier herauskriechen …« Er verschluckte sich fast an dem Wort, als bereite es ihm eine besondere Qual. »Nun, ich würde jedenfalls kriechen«, fügte er lahm hinzu. »Komm, Mädchen – hilf mir auf. Und nimm diesen Schnaps mit, wenn du ihn tragen kannst. Wir werden ihn vielleicht noch brauchen, bevor wir fertig sind. Wenn auch nur, um mich aufrechtzuhalten.« Er grinste sie an, als wäre sie auch ein Mann, ein Waffenkamerad, und Zannas Herz schwoll vor Stolz. »Ich nehme doch an«, fügte er hinzu, »daß du, nachdem du schon so weit gekommen bist, auch einen Plan hast, wie du uns hier rausbringst?«
»Verflucht!« Zanna schlug sich mit der Hand auf die Stirn. »Um ein Haar hätte ich den beschissenen
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