Die Artefakte der Macht 03 - Flammenschwert
Zittern seines Körpers spüren, während er, auf ihre Schulter gestützt, durch den Tunnel wankte.
»Ist gut, Vater. Wenn du nur noch ein ganz kleines Weilchen aushalten könntest, würden wir bestimmt ein Zimmer finden, in dem wir uns ausruhen können, wie wir das schon ein paarmal getan haben«, erwiderte Zanna, die sich zwang, einen fröhlichen Ton anzuschlagen. Um seinetwillen versuchte sie, sich ihre eigene Erschöpfung nicht anmerken zu lassen, genausowenig wie die Ängste und Sorgen, die sie quälten. Sie hatten sich in diesem Labyrinth kalter, feuchter Tunnel total verirrt. Sowohl ihre Kraft als auch ihre spärlichen Vorräte gingen rasch zur Neige; und ihr Vater hatte mit seinen Verletzungen schon genug eigene Probleme, mit denen er fertigwerden mußte. Nach jeder Rast, die sie bisher eingelegt hatten, hatte sie immer länger gebraucht, um ihn wieder auf die Beine zu bringen, und er mußte sich jetzt auch immer häufiger ausruhen. Zanna hatte bisher keine Gelegenheit gehabt, sich seine Verletzung anzusehen – er wollte weder darüber reden, was die Magusch ihm angetan hatten, noch wollte er ihr erlauben, den Verband an seiner Hand zu erneuern –, aber sie wußte, daß es schlimm sein mußte. Er hätte Ruhe gebraucht, die richtige Pflege und einen Arzt – und es war nur eine Frage der Zeit, bis sich sein Zustand so sehr verschlechtern würde, daß er seinen Verletzungen erliegen würde.
Zanna hob ihre Kerze ein Stückchen höher und suchte den Korridor nach dem dunkleren Schatten der nächsten Tür ab. Die alten Archive unterhalb der Bibliothek waren mit Nischen durchsetzt, mit Alkoven und Kammern jeder Größe; einige waren so geräumig, daß das Kerzenlicht der Flüchtlinge sie nicht mal ganz zu erhellen vermochte, und andere wiederum so klein, daß Vannor und seine Tochter zwischen den uralten Büchern und den verstaubten Regalen voller verfallender Pergamentrollen kaum Platz fanden. Letztere waren Zanna allerdings weitaus lieber. Sie mochten zwar überfüllt und unbequem sein und äußerste Vorsicht mit der Kerze erfordern, damit die Papiere nicht in Brand gerieten, aber sie waren wärmer, weniger zugig und schienen außerdem viel sicherer zu sein. Sie bereitete sich keine Sorgen darüber, was hinter dem kleinen, sicheren Kreis ihrer flackernden Kerze verborgen sein mochte. Sie hatte mit angehört, wie Eliseth sich darüber beklagte, daß Finbarr, der frühere Archivar, zwar mit Hilfe von Zaubersprüchen dafür gesorgt hatte, daß keine Ratten, Küchenschaben und ähnliches Getier hier eindringen konnten, daß aber die Magie jetzt langsam nachließ, weil sich niemand mehr darum kümmerte, sie aufrechtzuerhalten. Aber es war nicht der Gedanke an kleine Tiere, der Zanna angst machte. Was sie umtrieb, war vielmehr die unerschütterliche Überzeugung, daß außer ihr und ihrem Vater noch irgend etwas hier unten war. Etwas Unsichtbares, Unbekanntes, aber doch unaussprechlich Böses.
»Ach, um Himmels willen«, murmelte Zanna bei sich. »Stell dich nicht so an. Wenn du deine Phantasie mit dir durchgehen läßt, kriegen wir ganz bestimmt Schwierigkeiten.« Statt dessen legte sie einen Arm um ihren Vater und führte ihn zu dem nächsten dunklen Eingang, der von dem Tunnel abzweigte.
Zu Zannas Ärger stellte sich heraus, daß die dunkle Öffnung ein Alkoven war und nicht der erhoffte Eingang zu einem Zimmer. Mit einem von Vannors deftigsten Flüchen auf den Lippen drehte sie sich um und wollte gerade wieder in den Tunnel zurückkehren, als das Licht ihrer Kerze zufällig auf einen funkelnden Gegenstand am Boden fiel – das stumpfe, kalte Leuchten dunklen, verrosteten Eisens. Sie gab Vannor ihren Korb und ließ ihn für einen Augenblick im Tunnel allein, wo er sich an die Mauer lehnen konnte, während sie versuchte, der Sache auf den Grund zu gehen – und um ein Haar drei tiefe Stufen hinuntergestürzt wäre. Auf dem Boden in der Ecke des Alkovens – nicht mitten in der Wand, wo Zanna sie erwartet hätte – befand sich eine schmale Holztür.
Sie war natürlich verschlossen. Angesichts der Tatsache, daß dieser Eingang offensichtlich ein Geheimnis war, hatte Zanna nichts anderes erwartet. Trotzdem erzürnte es sie. Weil ihr der Zugang zu dem dahinterliegenden Raum verwehrt war, hatte sie das Gefühl, unbedingt sehen zu müssen, was darin verborgen war – und es kam ihr keinen Augenblick lang in den Sinn, daß eine Tür an diesem tief unter der Erde liegenden Tunnel möglicherweise aus einem guten Grund
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