Die Artefakte der Macht 03 - Flammenschwert
hielt den Stab mit spitzen Fingern fest, als könnten die Zwillingsschlangen sie beißen. »Ja«, murmelte sie, »aber warum?«
Chiamh trat einen Schritt nach vorn, um mit seinen kurzsichtigen Augen den Stab zu begutachten, obwohl er es sorgfältig vermied, ihn zu berühren. Dann heftete er seinen Blick auf die Magusch. »Herrin – warum hast du es vorgezogen, die Wahnsinnige mit deinem Schwert zu töten statt mit diesem machtvollen Werkzeug der Magie?«
»Ich …« Aurian runzelte die Stirn. »Nun, zum einen hatte ich große Angst, daß ich Wolf Schaden zufügen könnte. Aber hauptsächlich habe ich es deshalb nicht getan, weil es einfach nicht richtig gewesen wäre.« Sie geriet kurz ins Stocken. »Der Stab ist eine der Vier Großen Waffen, die geschaffen wurden, um der Zerstörung entgegenzuwirken. Wenn ich ihn benutzt hätte, um jemanden zu verletzen, dann …« Sie schauderte. »Etwas Furchtbares wäre geschehen. Oh, es hätte funktioniert, da bin ich mir sicher, aber es hätte irgendeine Reaktion ausgelöst, eine Art Gegenschlag … Ich habe mich daran erinnert, was der Leviathan über eine Waffe sagte, die zwei Seiten hat …« Außerstande, es besser zu erklären, zuckte sie mit den Schultern.
Chiamh erschauderte. »Herrin, du bist sehr weise – und der Göttin sei Dank dafür.«
Voller Sorge wurde Anvar plötzlich bewußt, wie bleich Aurian war. Obwohl sie versuchte, es zu verbergen, konnte er sehen, daß sie vor Erschöpfung zitterte. Während er Wolf vorsichtig in die Beuge seines linken Armes bettete, legte er ihr den rechten um die Schultern. »Komm jetzt – laß uns Shia suchen, und dann kehren wir in die Festung zurück.«
Aurian nickte. »Ich könnte einen ganzen Monat lang schlafen – aber soviel Zeit haben wir nicht.« Sie duckte sich unter seinem Arm weg und hob Coronach vom Boden auf, wischte die blutbefleckte Klinge an ihrem Umhang ab und steckte sie wieder in die Scheide. Dann schob sie sich den Stab in ihren Gürtel und streckte die Arme nach ihrem Sohn aus.
Die Steine in der Nähe des schwarzen Felsvorsprungs waren blutüberströmt. Das Blut heftete auf Aurians Stiefeln und bedeckte ihre Hände, die sie benutzen mußte, um das letzte Wegstück die steile Anhöhe hinauf zu bewältigen. Mit einem Schaudern wischte sie sich ihre klebrigen Finger an dem Saum ihres nun schon so häufig mißbrauchten Umhangs ab und sehnte sich nach einem Becher guten, starken Ales, um den metallischen Geschmack, der sich in ihrer Kehle festgesetzt hatte, endlich loszuwerden.
Aurian blickte zurück und sah Chiamh, der gemeinsam mit Wolf am Fuß des Hügels wartete, während Anvar hinter der Magusch her kletterte. Auch er war blaß und wirkte angespannt. Glücklicherweise hatte es bei den Katzen weniger Opfer gegeben, als Aurian nach Anvars kurzem Bericht über die Schlacht vermutet hatte, aber einige der Verletzungen, die sie auf ihrem Weg durch den Canyon gesehen hatte, waren schrecklich gewesen. Nachdem sie von Shia erfahren hatte, daß Hreezas Leben nicht in Gefahr war, hatte Aurian ihre Hilfe angeboten, wo sie nur konnte, obwohl ihre Bemühungen nur von vergleichsweise geringem Erfolg gekrönt waren, und das trotz der Kraft, die sie sich von dem erschöpften Anvar geliehen und mit ihrer eigenen sowie der Macht des Stabes vereint hatte.
Khanu, dessen dichtes Fell an einigen Stellen aufgerissen war und der an einem Ohr eine heftig blutende Schnittwunde davongetragen hatte, war den Magusch quer durch den Canyon entgegengekommen, um sie zu Shia und in Sicherheit zu bringen. Als sie auf dem Gipfel ankamen, führte er sie stolz durch die dichten Reihen von Katzen, die dort warteten. Es war ein atemberaubender Anblick. Eine von diesen großen Katzen allein war schon ehrfurchtgebietend in ihrer Größe und Kraft, aber so viele von ihnen nebeneinander zu sehen … Erstaunt ließ Aurian ihre Blicke über die Tiere gleiten: anmutige, muskulöse Weibchen und grobknochige Männchen, prächtig anzuschauen mit ihren struppigen Halskrausen; ergraute Veteranen, langbeinige Jungtiere und flaumige, goldgesprenkelte schwarze Katzenbabys, deren Pfoten und Ohren noch viel zu groß für sie waren. Aurian mußte schmunzeln. Hundert goldene Augen blitzten und flackerten im frühen Sonnenlicht wie ein Drachenschatz, während die großen Katzen, allesamt von schweigender Neugier erfüllt, sie vorübergehen ließen. Aurian erhaschte einen Blick auf die gewaltigen geschwungenen Klauen und die glitzernden Fangzähne und war
Weitere Kostenlose Bücher