Die Artefakte der Macht 03 - Flammenschwert
trat er in einen Teich aus Schatten in den Tiefen des Durchgangs, nahm die körperlosen Fetzen Dunkelheit zusammen und wob einen Mantel aus Zwielicht um sich herum. In seinem Schattenmantel solchermaßen vor neugierigen Blicken geschützt, schlüpfte er mit einem verschmitzten Lächeln auf den Lippen auf den Eingang zu.
»Ho, Chiamh!«
Als er seinen Namen hörte, blieb das Windauge mit einem Ausruf der Bestürzung wie angewurzelt stehen. Dann drehte er sich um und sah eine Silhouette vor dem von Fackellicht beleuchteten Eingang der inneren Halle. Aurian. »Das ist wirklich ein ausgesprochen guter Trick«, sagte sie beim Näherkommen, »aber ich sollte dich warnen – bei uns Magusch funktioniert er nicht. Warum die Verkleidung, mein Freund?« Sie lächelte ihm zu, und Chiamhs Erbitterung zerschmolz.
»Sieh mal nach draußen«, erwiderte er. »Es hat den Anschein, als kampierte die gesamte Xandim-Bevölkerung auf diesen Wiesen. Ich verspürte den Drang nach Abgeschiedenheit und …«
»Und ich habe deine Flucht vereitelt«, entschuldigte sich Aurian.
»Ich hatte nicht den Wunsch, vor dir zu fliehen. Ich wollte nur für eine Weile nach Hause …«
»Ist das hier denn nicht dein Zuhause?«
Chiamh schüttelte den Kopf. »Ich lebe weiter oben auf dem Berg – für gewöhnlich. Es ist sehr schön da.« Plötzlich fand er den Gedanken an Einsamkeit doch nicht mehr so verlockend. »Möchtest du es gern sehen?«
»Ist es noch sehr weit?« Aurian, die von ganzem Herzen froh darüber war, den breiten Klippenpfad endlich hinter sich gelassen zu haben, stand oben auf dem Bergpfad, der sich zu der Felsenspitze jenseits der Festung hinaufschlängelte, und ließ ihren Blick über das windgepeitschte Gebirgsplateau gleiten. Von einem zweiten Tal war jedoch nichts zu sehen, und sie wollte Wolf nicht zu lange allein lassen. Obwohl ihr Sohn kaum unangenehme Nachwirkungen von seiner Entführung davongetragen zu haben schien, hatte er doch große Angst ausgestanden, und die Magusch wollte in seiner Nähe sein, falls er Trost brauchte – obwohl das Junge in Wirklichkeit mit seinen wölfischen Wächtern ganz zufrieden zu sein schien, die in der Nacht zurückgekehrt waren. Dennoch war Aurian den ganzen Vormittag über um ihn herumgeschlichen, bis Anvar und Shia sie mit vereinten Kräften dazu bewogen hatten, hinaus an die frische Luft zu gehen – damit sie selbst endlich etwas Frieden und Ruhe fanden.
Anvar mußte unbedingt ein wenig Zeit für den alten Elewin haben, der es sich so sehr gewünscht hatte, den jungen Diener aus der Akademie wiederzusehen, den er einst beschützt hatte. Nun, so schien es, hatten ihre Positionen sich umgekehrt. Der Haushofmeister, noch immer geschwächt von seiner Krankheit, hatte Meiriels Tod schlecht aufgenommen. Er schien irgendwie in sich zusammengesunken zu sein – lustlos und verdrießlich und plötzlich sehr, sehr alt; und Anvar hatte sich mit vor Sorge gefurchter Stirn darangemacht, seinen früheren Mentor ein wenig aufzuheitern. Auch Shia und Khanu hatten ihre eigenen Pläne: Sie wollten einen kurzen Abstecher zurück zur Stahlklaue machen – zu Fuß diesmal –, um festzustellen, wie Hreeza in ihrer neuen Rolle als Erstes Weibchen zurecht kam.
Plötzlich bemerkte Aurian, daß das Windauge mit ihr sprach, und schaffte es gerade noch rechtzeitig, ihre Gedanken wieder auf die Gegenwart zu konzentrieren, um seine Antwort auf ihre halbvergessene Frage zu hören. Chiamh schob sich eine vom Wind zerzauste Locke aus den Augen. »Mein Tal ist noch ein gutes Stück von hier entfernt, und ein Teil der Strecke geht bergauf.« Mit einem schmerzlichen Stich der Enttäuschung bemerkte er Aurians Zögern. Er hatte sich so darauf gefreut, ihr sein Heim zu zeigen – ihm war bisher überhaupt nicht bewußt gewesen, wie sehr. Da plötzlich kam ihm eine Idee. Aber konnte er es schaffen? Plötzlich stand sein Entschluß fest. Lächelnd drehte er sich zu Aurian um. »Zu Pferd wäre man in Null Komma nichts da.«
»Aber wir haben kein Pferd«, bemerkte Aurian. Das Windauge grinste breit. »Nein, wirklich nicht? Mach dich bereit, meine Freundin, dann zeig ich dir ein Wunder.«
Aurian wußte, wenn es auch bisher nur ein abstraktes Wissen war, daß die Xandim ihre Gestalt wechseln konnten, aber da sie so lange in Aerillia gewesen war, hatte sie diese Veränderung niemals selbst beobachtet. Mit vor Staunen weit aufgerissenen Augen sah sie nun zu, wie Chiamhs Umrisse verschwammen und sich plötzlich
Weitere Kostenlose Bücher