Die Artefakte der Macht 03 - Flammenschwert
gelingen wollte. Sie runzelte die Stirn und kniff die Augen zusammen. Dann konzentrierte sie all ihre Gedanken auf den Kristall, in dem verzweifelten Versuch, die Identität der fünften Person zu ermitteln. Aber alles, was sie wahrzunehmen vermochte, war eine in Schatten gehüllte Gestalt – menschlich und wieder doch nicht menschlich –, die vor ihren Augen zerfloß und zerfiel und all ihren Versuchen einer näheren Bestimmung auswich. Mit Mühe konzentrierte Eliseth sich so lange auf die Vision, bis sie hören konnte, was gesagt wurde – und um ihren Verdruß noch zu vergrößern, schien es so, als befände sich noch eine sechste Person in dem Raum! Unverkennbar sprachen Anvar und Aurian mit einem verborgenen Wesen, dessen Antworten für Eliseth nicht zu hören waren, und sosehr die Wettermagusch sich auch bemühte, dieses sechste Wesen blieb vollkommen unsichtbar.
Aurian nahm einen Schluck von dem zuckersüßen Met aus ihrer Tasse, und Chiamh sah, wie sie versuchte, angesichts der klebrigen Süße des Getränks nicht das Gesicht zu verziehen. Obwohl die Xandim ein mehr als passables Bier zu brauen imstande waren, wurde bei Gelegenheiten von größerer Bedeutung – wie zum Beispiel wichtigen (wenn auch inoffiziellen) Beratungen – traditionellerweise etwas Stärkeres serviert. Der heutige Tag hatte ihnen eine kurze Atempause verschafft, was die Probleme der Pferdeleute betraf, damit sie Elewin begraben konnten. Morgen jedoch würden schwerwiegende Entscheidungen bezüglich der zukünftigen Führung der Xandim notwendig werden, und man würde einen Entschluß treffen müssen, welche Rolle dieses Volk bei Aurians Kampf gegen den Erzmagusch zu spielen hatte. Heute abend waren Parric, Chiamh, die beiden Magusch und Sangra zusammengekommen, nicht nur, um ihren Kummer über das Dahinscheiden des Haushofmeisters miteinander zu teilen, sondern auch, um sich zu beraten und einen Plan und eine Strategie zu entwickeln, die sie am Morgen den versammelten Rudelführern vortragen konnten.
Parric nahm einen Schluck aus seinem Hornbecher und betrachtete die ernsten Gesichter der anderen.
»Ich weiß, daß keinem von euch danach zumute ist, heute abend schwerwiegende Entscheidungen zu treffen«, sagte er mit gequälter Miene, »aber nach dem, was gestern geschehen ist, sollten wir uns besser schleunigst etwas ausdenken. Der Mond hat sich wieder verdunkelt, so daß man mich herausfordern kann, und ich will nicht und muß ja auch nicht länger Rudelfürst sein. Außerdem«, fügte er bitter hinzu, »habe ich keine Lust, so einen Kampf noch einmal auszutragen. Für niemanden. Es muß doch unter den Xandim irgend jemanden geben, der die Führung übernehmen kann – jemanden, der unserer Sache aufgeschlossen gegenübersteht. Was geschieht nach dem Gesetz der Xandim, wenn der Rudelfürst seinen Führungsanspruch nicht verteidigen will? Können wir irgend jemanden für das Amt benennen?«
»Nun?« drängte Aurian Chiamh, der still und ganz in Gedanken versunken dagesessen hatte. Jetzt wandte das Windauge seine Aufmerksamkeit wieder den anderen zu und antwortete auf Parrics Frage. »Ja«, sagte er. »Mit deiner Zustimmung kann einer der Herausforderer an deine Stelle treten – er muß jedoch trotzdem um die Führung kämpfen, falls irgend jemand sich ihm entgegenstellt. Aber wen willst du an deiner Stelle im Amt des Rudelfürsten sehen?«
»Schiannath«, erwiderte Aurian an Parrics Stelle. »Abgesehen von dir, Chiamh – und offensichtlich kannst du ja nicht Rudelfürst werden –, ist er der einzige Xandim, auf dessen Unterstützung wir zählen können.«
»Aber wartet«, unterbrach Anvar sie. »Ich dachte, Schiannath hätte schon einmal versucht, den Rudelfürsten zu bezwingen, und wäre dabei besiegt worden. Also kann er seine Herausforderung wiederholen?«
»Weil Parric ihn benannt hat«, erwiderte Chiamh. »Im wesentlichen handelt er dann ja für einen anderen, nicht für sich selbst.« Nach einem Augenblick des Schweigens fuhr er fort: »Es besteht kein Zweifel, daß Schiannath den Xandim befehlen würde, euch zu helfen, wenn er Rudelfürst wird. Im Augenblick glaubt er, alles, was ihm in letzter Zeit an Glück widerfahren ist, sei euch zu verdanken. Er wird alles für dich tun, was in seiner Macht steht, Aurian.«
»Aber ich habe doch eigentlich gar nichts für ihn getan«, protestierte Aurian.
Das Windauge zuckte mit den Schultern. »Nein? Wärst du nicht gewesen, wäre Parric niemals in unser Land gekommen.
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