Die Artefakte der Macht 04 - Dhiammara
wenn mir jeder Knochen im Körper weh tut und ich verwirrt und zu Tode erschrocken bin, ist das noch lange kein Grund, es an dir auszulassen.« Sie hielt der Frau die Hand hin. »Mein Name ist Maya, und ich bin Kriegerin. Und du hast recht – ich war mehrere Jahre nicht in Nexis.«
Licias starre Miene wurde weicher. »Du armes Ding – natürlich hast du Angst, und es ist kein Wunder, daß du verwirrt bist. Diese Entführungen waren für keinen von uns leicht – zuerst ist es immer ein schrecklicher Schock. Du kommst am besten mit mir in meine Hütte, dann gebe ich dir etwas Warmes zu trinken.« Mit diesen Worten half sie der jungen Kriegerin mit überraschend starkem Griff auf die Beine.
»Und bitte – könntest du mir etwas zum Anziehen borgen?« fragte Maya sie hoffnungsvoll. »Irgendein alter Lumpen würde mir genügen …«
»Ich fürchte, das kann ich nicht.« Licia schüttelte bedauernd den Kopf. »Wenn die Arbeitstrupps nach draußen gehen, erlauben die Phaerie ihnen, etwas anzuziehen, aber bei ihrer Rückkehr werden ihnen die Sachen immer wieder weggenommen. In den Höhlen halten sie uns nackt. Wie Tiere.« Sie stieß die Worte hervor, als bereiteten sie ihr einen üblen Geschmack im Mund. »Das alles trägt dazu bei, unsere Hoffnung und unseren Kampfgeist zu untergraben – uns zu zähmen, wie die Phaerie es ausdrücken.«
Vor Entsetzen blieb Maya wie angewurzelt stehen. Plötzlich begriff sie. »Du meinst, die Phaerie benutzen Menschen als Sklaven?« Sie erinnerte sich an Hellorin, D’arvans Vater und seine trockene, halb amüsierte Freundlichkeit ihr gegenüber. Wußte er, daß sie hier war? Hatte er es angeordnet? Er würde doch der Geliebten seines eigenen Sohnes nicht so etwas antun? Dann erinnerte sie sich an die langen Monate, in denen er sie dazu verdammt hatte, die Existenz jenes zweifach verfluchten Einhorns zu führen, das sich nicht einmal mit dem Mann, den sie liebte, hatte verständigen können – und plötzlich war sie sich da nicht mehr so sicher. Bei Lichte betrachtet war sie nicht mehr als ein verachtetes menschliches Wesen, und Hellorin war zu allem fähig – zu absolut allem. Wenn er ihr das antun konnte, was würde er dann mit D’arvan, seinem abtrünnigen Sohn, machen? Ein Schauder der Angst durchlief sie.
Licia zog an ihrem Arm und drängte sie zwischen den Reihen notdürftiger Behausungen hindurch. Es war keine Menschenseele zu sehen. »Natürlich benutzen sie uns als Sklaven – diese Bastarde.« Maya war einigermaßen verblüfft, ein solches Schimpfwort aus dem Munde einer Frau zuhören, die so altjüngferlich und steif wirkte. »Was hast du erwartet – daß sie uns hierher gebracht haben, weil ihnen an unserer Gesellschaft gelegen ist?« fragte die Spitzenklöpplerin und runzelte die Stirn. »Obwohl sie die Gesellschaft einiger Menschen durchaus zu schätzen wissen«, fügte sie verbittert hinzu. »So manches junges Mädchen hat sich hier rausgekauft, indem sie sich mit dem Feind verbündet und den Phaerie Nachkommen geboren hat – aus irgendeinem Grund scheint sich das unsterbliche Blut immer durchzusetzen.« Sie seufzte. »An manchen Tagen, wenn ich meine Seele hier unten im Dunklen für etwas frische Luft und ein bißchen Sonnenlicht verkaufen würde, kann ich ihnen kaum einen Vorwurf daraus machen. Aber manchmal würde ich ihnen am liebsten ein Messer in ihre verräterischen Herzen bohren. Nun ja, vielleicht bin ich auch nur eifersüchtig, weil man mich noch nie gefragt hat, da ich alt und unfruchtbar bin.«
»Was tun denn die anderen – die Leute hier unten?« fragte Maya in banger Erwartung.
Licia zuckte die Achseln. »Einige bedienen die Phaerie; sie kochen, putzen, machen Botengänge und ähnliches. Einige Leute arbeiten auch an den Gebäuden oder hauen neue Wohnquartiere aus dem Felsen unter dem Hügel. Andere arbeiten auf den Feldern und in den Scheunen, wo sie sich um die Ernte und um das Vieh kümmern. Schließlich«, fügte sie gehässig hinzu, »wäre es wohl auch eine zu große Zumutung für die wunderbaren und mächtigen Phaerie, selbst zu pflügen oder Kuhmist unterzugraben. Sie würden sich ihre knochigen, weißen Hände niemals schmutzig machen. Wir anderen – die begabten Handwerker«, fügte sie stolz hinzu, »wir fertigen alles, was unsere Herren brauchen, und unser einziger Lohn ist das Essen in unseren Mägen und das Ausbleiben von Schmerzen.«
Die Frau ging trotz ihrer Nacktheit mit großer Würde und mit hocherhobenem Kopf weiter, und
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